Lars Teichmann. Aura

23.1. – 3.4.2016

„Jeden Tag gehe ich voller Freude in mein Atelier und am Abend, wenn ich aufhören muss, weil es dunkel wird, kann ich den nächsten Morgen kaum abwarten“, sagte William Adolphe Bouguereau, einer der produktivsten und zu seiner Zeit bekanntesten Salonmaler im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Lars Teichmann würde dies sofort unterschreiben: Der in Berlin lebende Künstler steht morgens ab 8 Uhr in seinem Atelier, wo er sich in jüngster Zeit vor allem mit Bouguereaus Gemälden auseinander gesetzt hat.

Der französische Klassizist malte blank polierte Pastoralen und harmonische Allegorien. Dass Degas und Manet seinen süßlichen Stil und seine Weltfremdheit verspotteten, interessierte ihn nicht. Bouguereau war wie Teichmann kein politischer Maler, ihm ging es um die Lust an der Farbe und ihren akkuraten Auftrag, etwa im Bild „Das neu geborene Lamm“. Eine barfüßige junge Schäferin trägt in einer Waldidylle ein Lamm auf den Armen, das Mutterschaf steht daneben und schaut vertrauensvoll zu ihr auf – Sinnbild für ein Einverständnis von Mensch und Natur, wie es inniger kaum sein könnte. Dieses Motivs hat sich Teichmann mit seinem heftigen Gestus in „Girl with Lamb“ angenommen. Die Farbigkeit reduzierte er drastisch, Schwarz und Weiß dominieren, ein Fleck blauer Himmel ist übrig geblieben, der Wald hat sich bis zur Unkenntlichkeit in eine düstere Umgebung aufgelöst. Mädchen und Lamm sind nur noch schemenhaft, aber gerade noch ausreichend erkennbar, um das historische Vorbild identifizieren zu können. Sie kommen dem Betrachter auf einer Höhe von zwei Metern entgegen wie Überlebende einer Katastrophe, die alle Gesichtszüge ausgelöscht hat.

Lars Teichmann, 1980 geboren und in der Nähe von Chemnitz aufgewachsen, sprühte zunächst Graffitis, wo schnelles gestisches Arbeiten gefordert ist. Sehr früh spürte er, dass seine Bildwelt eine andere ist. Ab 2002 studierte er an der Universität der Künste Berlin, zunächst unter anderem bei Daniel Richter, der dann aber den Bettel hinwarf. Teichmann wurde Meisterschüler bei Prof. Valerie Favre. In seinen Arbeiten lässt sich der 35-Jährige, dem das Kunstpalais Erlangen nun eine erste institutionelle Einzelausstellung ausrichtet, von Bildern inspirieren: von Ikonen der Kunstgeschichte ebenso wie von alten Fotografien und Kostümbüchern. „The raider“, ein Kämpfer mit napoleonischem Dreispitz auf einem sich aufbäumenden Pferd, kommt in Schwarz-Weiß wie ein durchgeregneter apokalyptischer Reiter daher, die tropfende Farbe führt jedes Heldentum ad absurdum. Eine Engelsszene verwandelt sich in ein Smaragdbild, und „Blue Woman“, eine mächtige blaue Demeter, hält eine Sichel wie die drohende Verlängerung einer fehlenden Hand.

Das berühmteste Vorbild ist sicherlich Diego Velázquez Gemälde „Las Meninas“, dessen genialer Bildaufbau auch dann noch auf den ersten Blick zu erkennen ist, wenn er wie hier bis aufs Äußerste abstrahiert  wird. Lars Teichmann geht es nicht um Repräsentation, nicht um historische Zusammenhänge und Porträts realer Menschen – ihm geht es um den puren Malgestus an der Schnittstelle zwischen Abstraktion und Figuration.

Text: Sabine Scheltwort / ka47 | Bild: Kunstpalais Erlangen
Externer Link: www.kunstpalais.de

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