Goya. Groteske und Karneval

30.1. – 1.5.2016

Man kann als Museumsgänger des 21. Jahrhunderts noch so viel gesehen haben: Die Heftigkeit, die Direktheit und Bildgewalt, die von Francisco de Goyas grafischem Werk ausgeht, überrascht und fesselt bis heute. Geifernde Kupplerinnen, steinalte Freier, rasende Hexen und geflügelte Fabelwesen sind nur ein kleiner Teil seines beeindruckenden Figurenrepertoires.

Für den ersten, 1799 veröffentlichten Zyklus Los Caprichos hatte der spanische Künstler (1746-1828) ursprünglich ein Titelblatt entworfen, auf dem er selbst als scheinbar schlafender Künstler zu sehen ist. Eulen, Fledermäuse und Katzen flattern und fleuchen hinter seinem Rücken herum, doch ob das nachtaktive Getier im Bild real existiert oder nur seiner Phantasie entspringt, ist unklar. Auch der berühmte Spruch des Blattes – „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ – lässt alles offen. Der Grat zwischen Träumen und Wachen, zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist schmal. Diese Ambivalenz korrespondiert mit einer ganz neuen Bandbreite tonaler Abstufungen innerhalb des Mediums Radierung, die Goya mit dem Einsatz der damals neuen Aquatinta-Technik erreicht.

Jetzt zeigt die neue Leiterin der städtischen Galerie Stihl in Waiblingen, Silke Schuck, in der Ausstellung Goya. Groteske und Karneval den gesamten Zyklus der Caprichos sowie einzelne Blätter aus den drei anderen großen Aquatinta-Serien des Künstlers. Die Werke – Leihgaben des Morat-Instituts für Kunst und Kunstwissenschaften in Freiburg – verortet sie in dem hochmodernen, ellipsenförmigen Neubau der Galerie in einer eigens dafür geschaffenen Ausstellungsarchitektur.

Während Goya, der unter anderem am Hof der spanischen Bourbonen tätig war, mit den Caprichos moralische und klerikale Missstände anprangerte und damit selbst in den Fokus der Inquisition geriet, porträtierte er in Desastres de la Guerra die Auswüchse des blutigen Guerillakriegs zwischen den Truppen Napoleons und der spanischen Bevölkerung in der Zeit von 1808 und 1814. Immer wieder hielt er darin den Moment der Vernichtung einzelner Menschen fest, auch den zahlreicher Frauen, die den grausamen Konflikten zum Opfer fielen.
In der chronologisch daran anschließenden Serie Tauromaquia (1815/16) behandelte Goya die Thematik des Stierkampfs ähnlich intensiv. Mit beeindruckend bewegtem Strich wählte er für die Darstellung oft den entscheidenden Augenblick der Konfrontation zwischen Stier und Torero, der nicht für jeden Stierkämpfer glücklich ausging. In seiner letzten Serie, den Disparates, die der Künstler vermutlich bis 1824 schuf, nahm er ein letztes Mal die Gesellschaft ins Visier. Aus dieser Serie ist in Waiblingen unter anderem das Blatt Mode de volar (Eine Art zu fliegen) zu sehen, in dem sich die Menschen mit großen Flugmaschinen in einen dunklen Himmel aufschwingen. In einen Himmel, der sowohl Verheißung als auch Vernichtung bedeuten könnte.

Text: Julia Behrens / ka47 | Bild: Courtesy Galerie Stihl Waiblingen
Externer Link: Galerie Stihl Waiblingen

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