Rodney Graham

bis zum 23.4.2016 | Sammlung Goetz

Eine Herausforderung für den Betrachter
Rodney Graham in der Sammlung Goetz in München

Die Sammlung Goetz in München widmet ihre aktuelle Ausstellung dem kanadischen Konzeptkünstler Rodney Graham. Retrospektiv geben die gezeigten Werke aus den Jahren 1977 bis 2012 einen tiefen Einblick in sein vielschichtiges Œuvre.

Neben Künstlern wie Jeff Wall, Stan Douglas und Ian Wallace gehört auch Graham zu den renommierten Vertretern der Vancouver School. Bereits Mitte der 70er-Jahre wurde die Kunstszene auf seine „Appropriation Art“ aufmerksam, mit deren Technik unter anderem auch Cindy Sherman und Sherry Levine bekannt wurden. Dabei bezieht er sich auf kulturhistorische Ereignisse, Werke und Persönlichkeiten aus den Bereichen Film, Fotografie, Malerei, Musik sowie Literatur, die er auf humorvolle Weise in den Kontext der Gegenwart stellt. Seine Vorbilder werden jedoch nie kritisch auseinandergenommen oder ins Lächerliche gezogen. Vielmehr findet sich in seinen künstlerischen „Reanimationen“ eine liebevolle und ironisierende Hommage, die ein Spiel zwischen Ernst und Komik ist und neue Erkenntnisse zulässt. So ließ er zum Beispiel Georg Büchners Novelle „Lenz“ in Eigenregie 1983 neuverlegen. Unter Verzicht auf starke inhaltliche Veränderung, war Graham besonders an der ästhetische Umsetzung und Präsentation des literarischen Werkes interessiert.

Nicht umsonst bezeichnet die Sammlung Goetz die Einzelausstellung als eine „Herausforderung für den Betrachter“. Ein vollständiges Werkverständnis ist nur mit bereits vorhandenem kulturhistorischem Wissen oder begleitenden Informationen möglich. Seine Diptychon-Leuchtkastenarbeit „Allegory of Folly: Study for an Equestrian Monument in Form of a Wind Vane (2005)“ erfordert ein solches Hintergrundwissen sowie eine inhaltliche Auseinandersetzung. In der zweiteiligen fotografischen Arbeit sieht man Graham entgegen der Reitrichtung auf dem Rücken einer Pferdestatue sitzen. Seine Kleidung und Körperhaltung verweisen auf die Zeit der Renaissance. Die Wahl der Darstellungsweise bezieht sich auf ein Porträt von Erasmus von Rotterdam, welches im 16. Jahrhundert Hans Holbein d. Jüngere anfertigte. Jedoch ist dieser im Original als schreibender Gelehrter zu sehen. Hingegen hält Graham in seiner Neuinterpretation das Telefonbuch von Vancouver in seinen Händen. Beeinflusst durch Erasmus’ Werk „Lob der Torheit“, vereint der Kanadier in seiner „Allegorie der Dummheit“ Ironie und Glauben. Die Windfahnen repräsentieren dabei in ihrer mittelalterlichen Deutung symbolisch den standhaften Glauben.

Mit dem Glauben als fragile Basis der Wahrnehmung und letztlich des Wissens setzt sich Graham auch in seiner Werkserie „Camera Obscura“ (1993 – 2000) auseinander. Hierfür baute er eine Camera Obscura nach und fotografierte die dabei entstandenen Baumprojektionen ab. Durch die technischen Voraussetzungen werden alle Bilder kopfüber abgebildet. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch das menschliche Auge. Erst mit der Informationsübertragung durch das Gehirn bekommt das Gesehene seine vertraute Form. Diesen Eingriff versteht Graham als eine mögliche Täuschung unserer Wahrnehmung.  Der „Arbor inversa“ (umgedrehte Baum) hatte besonders im Mittelalter die Bedeutung des Weltbaums und wurde als ein Symbol des Glaubens und der Erkenntnis interpretiert. Unweigerlich stellt sich die Frage, wo der Glaube beginnt, und wo die Wirklichkeit aufhört.

 

Text: Tamara Branovic / ka47 | Bild: Sammlung Goetz
Externer Link: Sammlung Goetz

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