Artsplash | Land am Wasser – Abschied von der vertrauten Umgebung für immer

Artsplash 11.04.2016

Land am Wasser, © Mathias Schulze

Gut Ding will Weile haben, lautet ein altes Sprichwort und in unserer schnelllebigen Zeit kein leichtes Unterfangen. Ich kann mich noch gut an den Kontakttag der Mitteldeutschen Medienförderung in Leipzig vor einigen Jahren erinnern, als das Filmvorhaben, einen Dokumentarfilm über einen Bauern zu machen, dessen Hof und Ackerflächen dem Abbau der Braunkohle bei Hohenmölsen in Sachsen-Anhalt weichen muss, gepitcht – vorgestellt – wurde.

Tom Lemke stellte zu seinem Pitch bereits erste Aufnahmen vor, die mich schon damals begeisterten. Den Hauptpreis erhielt jemand anders, aber Tom Lemke hatte einen weitsichtigen Produzenten: Thomas Jeschner aus Halle/S. Ich selber hatte den Dokumentarfilm schon lange aus den Augen verloren, bis er im vergangenen Jahr bei DOK Leipzig, dem ältesten internationalen Dokumentarfilmfestival in Deutschland, für den Deutschen Wettbewerb ausgewählt wurde. Finanzielle Unterstützung erhielt die von 2003 bis 2014 entstandene Doku von der Mitteldeutschen Medienförderung und der Kunststiftung Sachsen-Anhalt. Womit der Filmemacher und sein Produzent am allerwenigsten gerechnet hatten: „Land am Wasser“ gewann in Leipzig die Goldene Taube im Deutschen Wettbewerb 2015. Ein Ritterschlag erster Güte, aber ein Verleih, der den Dokumentarfilm ins Kino bringen wollte, fand sich nicht.

Land am Wasser, © Mathias Schulze
Land am Wasser, © Mathias Schulze

Es gibt Dokumentarfilme, die meiner Meinung nach im Kino nichts zu suchen haben. Aber: sie haben einen Verleih, weil das Fernsehen mit im Boot ist. Thomas Jeschner und Tom Lemke haben sich deshalb entschlossen, ihren preisgekrönten Dokumentarfilm im Eigenverleih in ausgewählten Kinos in Mitteldeutschland zu zeigen. Der Auftakt dafür war am 4. April 2016 in Leipzig in der Kinobar Prager Frühling und am 14. April 2016 ist der Regisseur mit seinem Film im Puschkino in Halle/S. zu Gast. Was mich besonders freut: am 21. April 2016 findet eine Aufführung im Luru statt, das Kino im Künstler- und Galeriequartier der Leipziger Spinnerei, das unter anderem von Michael Ludwig geführt wird. Sein Zwillingsbruder Matthias, den ich schon oft auf Ausstellungseröffnungen in Leipzig gesehen habe und mich einbremste zu rufen: „Hallo Micha!“, weil ich mir nicht sicher war, ob es Michael Ludwig ist, hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Malerei studiert. Beide Brüder sind in der Kunstszene Leipzigs bestens bekannt und geschätzt, weil sie humorvoll sind. Aber zurück zum Film. 1998 kamen Vertreter einer Abraumfirma für Braunkohle in ein Dorf in Sachsen-Anhalt. Sie schwatzten sehr gekonnt den Bewohnern ihr Eigentum ab – finanziell für diese attraktiv, für den Konzern ein leicht abgewickeltes Geschäft, nicht alle waren einverstanden. Etliche packten sofort ihre Taschen, andere blieben, so wie Silvio.

Tom Lemke hat das Schicksal der Männer, die sich nicht von ihren geliebten Höfen und Anbauflächen trennen wollten und bis zum bitteren Ende durchgehalten haben, mit der Kamera begleitet. Silvio war der letzte, der ging. Was bitter ist, zu DDR-Zeiten wurde nicht verhandelt, da wurde geräumt. Nach der Wende wedelte man mit Geldscheinen und es hat funktioniert, seine Heimat für Peanuts zu verhöckern. Silvio, von den Befürwortern des Dorfes unterstützt und geschätzt, ist der Letzte, der geht. Eine andere Wahl hat er nicht. Die Braunkohle fordert ihr Tribut gnadenlos ein. Eine gut funktionierende Gemeinschaft – in Dänemark das Erfolgsrezept für eine glückliche  Gesellschaft – wurde hier platt gemacht für den Profit, den sich am Ende ein Konzern einstreicht. Gerechtfertigt unter dem Slogan, kein Strom aus der Kernenergie.

Text: Nadja Naumann | Bild: © Mathias Schulze
Externer Link: Land am Wasser

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