Hier wie dort herrschte ein technologiefreudiger Futurismus vor, der einst zu Sowjetzeiten gesellschaftlich-utopisch konotiert gewesen war, hier aber, im nach dem Ende der Systemkonkurrenz siegreichen Kapitalismus, sozusagen ganz für sich stand. Das faszinierte ungemein, aber sorgte auch für heftigen Widerspruch: Architektur verkomme zum Rummelplatz, so monierten Kritiker, von der Eventkultur (der Begriff kam in dieser Zeit auf) zur Eventarchitektur… Nicht die letzte Kontroverse um das Werk dieser Architektin, wie sich zeigen sollte…
Der Bau in Weil am Rhein und nachfolgende Projekte weltweit machten Zaha Hadid zur markanten Größe in der internationalen Diskussion um die Entwicklungsperspektiven moderner Architektur. Aber jenseits der Expertenforen wie der Architektur-Biennale in Venedig, der IBA in Berlin und ähnlicher Veranstaltungen, waren es die öffentlichen Bauprojekte, welche die Architektin bekannt machten. In Deutschland war das größte von ihnen das Phaeno in Wolfsburg. Dass die Wahl der Auftraggeber in der früher nur als gesichtsloser Industriestandort wahrgenommenen niedersächsischen Stadt auf Hadid fiel, macht deutlich, dass Architektur Signalwirkung haben, kommunikative Kraft ausstrahlen kann: Die einprägsame Silhouette des Baus wurde zum kommunalen Markenzeichen und damit zum Werbeträger (so wie es einst die Bauten der Barockmeister für ihre päpstlichen und königlichen Auftraggeber waren). Und wie diese die Möglichkeiten der damaligen Bautechnik bis an die Grenzen des Möglichen nutzten (man denke nur an die geschweiften Fassaden eines Francesco Borromini) und diese oft genug weiter hinaus verschoben, so schuf Hadid beim Phaeno nicht nur ästhetisch neue Raumkonzepte, sondern entwickelte zu ihrer Realisierung bautechnisch neue Verfahren.
In vierjähriger Bauzeit 2001-2005 entstand so in städtebaulich exponierter Lage, am Ufer des Mittellandkanals zwischen Bahnhof, Volkswagenwerk und Zentrum, eine hochgradig komplexe Konstruktion. Der Bau ist auf zehn unregelmäßig konischen Füßen aufgeständert, den „Cones“, und öffnet so darunter eine dauernd zugängliche Zwischenzone zwischen (musealem)Innen- und (städtischen)Außenraum. Le Corbusiers Bauten auf ihren von ihm „Piloti“ genannten Stützen waren ähnlich gedacht, auch sie sollten den öffentlichen Raum nicht durch die beanspruchte Grundfläche schmälern. Waren die Bauten des Altmeisters der Moderne nun allerdings überwiegend geometrisch im Sinne von rechtwinklig konzipiert, so verblüffte Hadids Phaeno mit seiner extremen Kontrastierung sanfter, organisch gekurvter Partien mit schärfsten Kanten. Die Raumwirkung im Inneren weist ähnliche Brüche auf: sanft ineinander übergehende, unmerklich verlaufende Raumfolgen und jähe Abbrüche, ein förmliches Architekturtheater. Erstaunlicherweise fand sich als Solitär im Spätwerk des eben erwähnten Meisters der kühlen Strenge auch schon einmal Vergleichbares: Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp…
Text: Dieter Begemann | Bild: phaeno gGmbH
Externer Link: phaeno
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.