Begemanns Blog | Hat Architektur Geschlecht?

Zaha Hadid

Bevor wir uns diesen Kritikern zuwenden, vielleicht noch kurz ein Blick auf die beifälligen Stimmen – beide Seiten haben mehr miteinander zu tun als man zunächst denken mag. Die der Architektin Zaha Hadid zugesprochenen Anerkennungen und Preise versetzten sie in einem überaus prominenten Umkreis und fokussierten die weltweite Aufmerksamkeit. Und eben längst nicht mehr nur die von Fachkollegen. Denn anders als in Malerei, Plastik oder Objektkunst war die bauende Zunft, zumindest in diesen höheren Sphären, bislang ein unbestrittenes Refugium der Männer geblieben: Bestenfalls noch aus dem Umkreis der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre fällt einem da ein auffälliges Porträt einer Architektin ein, mit Bubikopf und Reißschiene in der Hand. Dass Zaha Hadid also als erste Frau in diesen Olymp der Baukunst aufgestiegen war, war also schon für sich genommen einen Sensation. Und dass die britische Staatsbürgerin Hadid irakischen, also arabischen Ursprungs war, sorgte überdies für Aufmerksamkeit – und für Kontroversen. Exponiertheit und damit verbundene Erwartungshaltung (um nicht zu sagen, Erwartungsdruck) entsprachen einander. Hatte man es nun hier mit einem leuchtenden Beispiel perfekter Emanzipation und Integration zu tun oder lancierte die Baukünstlerin mit ihrer Arbeit wie mit ihrer Person nicht gerade ein neues Rollenbild für die dezidiert arabische Frau?

Vor dem Hintergrund der Genderfrage spielte sich auch die letzthin erwähnte heftige Auseinandersetzung um Zaha Hadids Entwurf für ein Fußballstadion in Qatar ab. Denn in der Aufsicht auf den gigantischen Bau mit seinen weich gewellten flankierenden Flügelformen um eine zentrale Dachöffnung sahen enragierte Kritiker eine Provokation, wollten sie doch hier die Darstellung eines weiblichen Geschlechtsteils erblicken (und dass in einer konservativen islamischen Gesellschaft). Hadid schoss vehement zurück, dergleichen würde man eben nur ihr als Frau unterstellen; stammte hingegen der Entwurf von einem männlichen Kollegen, hätte keiner etwas gesagt und überhaupt ginge es nur um den Schutz der Zuschauer vor der Hitze am Golf – und um ihre künstlerische Autarkie, auf der sie, wie stets, auch hier bestand.

 

Text: Dieter Begemann

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Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!

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