Alberto Giacometti – Material und Vision

28.10.16 – 15.1.17 | Kunsthaus Zürich

Vom 28. Oktober 2016 bis 15. Januar 2017 stellt das Kunsthaus Zürich anhand von 150 Werken erstmals den Umgang Alberto Giacomettis mit der Materialität seiner Werkstoffe in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Ausgangspunkt sind 75 kostbare Gipse aus dem Nachlass des Künstlers, die am Kunsthaus restauriert wurden und wegen ihrer Zerbrechlichkeit nur selten zu sehen sind. «Alberto Giacometti – Material und Vision. Die Meisterwerke in Gips, Stein, Ton und Bronze» beleuchtet auf neuartige Weise grundlegende Aspekte des Schaffens und Arbeitsprozesses des international bekanntesten Plastikers der Schweiz. Die Ausstellung gibt Antwort auf die Fragen: Was bedeuteten Giacometti seine Gipse? In welchem Verhältnis stehen sie zum Gesamtwerk? Und welches ist der spezifische Charakter der anderen, vom Künstler wie die Gipse eigenhändig bearbeiteten Schöpfungen in Stein, Ton, Bronze, Holz und Plastilin?

SELTEN ZU SEHENDE LEIHGABEN
Bedeutende Leihgaben, vor allem aus der nicht öffentlichen Fondation Alberto et Annette Giacometti in Paris sind erstmals in dieser Fülle in der Schweiz zu sehen. Gemeinsam mit der weltweit umfangreichsten und bedeutendsten Sammlung der Alberto Giacometti-Stiftung im Kunsthaus Zürich präsentiert sich hier für kurze Zeit der ganze Giacometti: rund 150 Werke eines Jahrhundertkünstlers, dessen experimentierfreudiger Umgang mit Materialien faszinierend ist. Aussergewöhnlich ist die erstmalige Zusammenführung verschiedener Fassungen einiger Werke – wie der kubistischen «Tête qui regarde» in gebranntem Ton, Gips, Marmor und Bronze oder die «Femme de Venise» von 1956 in diversen Materialien und Restaurierungs-Zuständen. Einige Werke aus Stein, die zum Teil aus Privatbesitz stammen, waren seit Jahrzehnten nicht öffentlich ausgestellt.

SINNLICHE, UNVERBAUTE INSZENIERUNG
Die Präsentation findet im über 1000 m2 grossen Ausstellungssaal statt. Kleine Raumeinheiten, die sich in ihrer Grösse an Giacomettis berühmtem Pariser Atelier orientieren, bilden Inseln im weitgehend offenen Saal. Auf langen dunklen Tischen und verschieden hohen Sockeln werden Gruppen von Werken zusammengestellt. Ihre Anordnung erfolgt grob chronologisch und thematisch. Der Clou: Mehrere Materialien oder Bearbeitungstechniken werden vergleichend präsentiert. Damit die Besucherinnen und Besucher die Oberflächen und die Materialität möglichst ungehindert wahrnehmen können, wird soweit möglich auf Plexiglashauben verzichtet. Demgegenüber finden bedeutende Exemplare der berühmten Bronzegüsse – die ausserhalb des Ateliers in der Giesserei entstanden – ihren Standort ausserhalb der Kojen, frei im Raum. Am Ende der Präsentation werden auch die Gipse aus der Ateliersituation «befreit» und – entsprechend der von Giacometti in dessen letzten Ausstellungen zu Lebzeiten unterstützten Präsentationsweise – den Bronzen als ebenbürtige Werke gegenübergestellt. Dieses Ereignis wird sich aufgrund der Fragilität vieler der Gipse nicht wiederholen lassen.

FORSCHUNG MIT ALLEN MITTELN
In einem kunsttechnologischen Teil werden Ergebnisse des vierjährigen Forschungs- und Restaurierungsprozesses am Kunsthaus anschaulich präsentiert. Besondere Berücksichtigung findet die Vermittlung der am Gips stattfindenden Arbeitsprozesse bis hin zu den technisch komplexen Gussvorgängen. Der Filmemacher Roy Oppenheim hat das Projekt begleitet. «Spurensuche», so der Titel seiner noch nicht veröffentlichten Dokumentation, gibt Einblick in die Arbeit hinter den Kulissen. Seine Kamera kommt den Gipsen näher als das menschliche Auge. Röntgenaufnahmen durchleuchten das Innere der Plastiken, verraten viel über deren Aufbau und Verfasstheit. Fotografien von Ernst Scheidegger, die zu Giacomettis Lebzeiten im Atelier entstanden, zeugen von der Entstehung einzelner Werke im seinerzeitigen zeitgenössischen Kontext.

IM MATERIAL LIEGT DIE VISION
Was verrät uns dieser «weisse Giacometti»? Als Material war Gips für Alberto Giacometti weit mehr als eine Zwischenstufe zwischen Tonmodell und Bronzeguss. Gips erlaubte ihm, seine Objekte auf vielfältige Weise zu bemalen oder zu bearbeiten. Nicht wenige Skulpturen existieren nur in einer Gipsversion.
Der Künstler schätzte dieses Material um seiner selbst willen. Zum einen wegen seiner besonderen Farbe und Präsenz, aber auch wegen seiner materiellen Eigenschaften: Gips kann im fertigen Zustand durch Bemalen oder durch Entfernen oder Hinzufügen von Gipsmasse noch bearbeitet werden. Dabei scheut Giacometti auch nicht davor zurück, Arbeiten radikal zu überarbeiten. Dies zeigen gerade die Spuren seines Messers an den Gipsen. Gipse, die er auf diese Weise nachträglich veränderte, wurden zu kostbaren Unikaten. Sie offenbaren anderes als die Bronzen. Die anschauliche Thematisierung der Restaurierung der Zürcher Gipse und der technischen Prozesse, die bei der Entstehung von Giacomettis Gipsen und Bronzen zur Anwendung kamen, runden die Ausstellung ab. Auf diese Weise wird erfahrbar, wie der Künstler auf dem Weg der Umsetzung seiner künstlerischen Visionen je nach gewähltem Material ganz verschiedene Wirkungen erzielen konnte. Es entsteht ein neuer Blick auf Giacomettis Schaffen von den frühen Werken des Schülers bis hin zu den berühmten, klassisch gewordenen Arbeiten der Reife- und Spätzeit. Kaum jemals war es möglich, den Reichtum und die Vielfalt der vom Künstler eigenhändig hergestellten Werke so unmittelbar und sinnlich zu erfahren, wie in dieser von Philippe Büttner kuratierten Ausstellung.

ALBERTO GIACOMETTI
Alberto Giacometti (1901–1966) ist der bedeutendste Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts. 2016 begeht die Kunstwelt seinen 50. Todestag. Sammler, Galerien und Museen reissen sich um seine Werke und auf dem Kunstmarkt erzielen seine Skulpturen rekordhohe Preise. Aber Giacometti, der wie ein Besessener arbeitete, lebte in Stampa wie in Paris stets bescheiden. Um persönlichen Ruhm hat Alberto Giacometti sich nie geschert. Stets war er bemüht, voranzukommen, seine Werke zu verbessern. Die Gipse, die als Schenkung 2006 von Bruno und Odette Giacometti an die Alberto Giacometti-Stiftung im Kunsthaus gelangten, sind dafür das beste Beispiel.
Mit Unterstützung der Credit Suisse – Partner des Kunsthaus Zürich und Ars Rhenia, Stiftung zur überregionalen Förderung von Kunst und Kultur.

 

Text: Kunsthaus Zürich | Foto: Kunsthaus Zürich
Externer Link: Kunsthaus Zürich

 

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