DOUBLE VISION – Albrecht Dürer & William Kentridge

10.9.16 – 8.1.17 | Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Mit Albrecht Dürer (1471–1529) und William Kentridge (geb. 1955) begegnen sich zwei Künstler, die jenseits aller epochalen und kulturellen Unterschiede durch das Medium der Druckgrafik verbunden sind. Der Meister der deutschen Renaissance und der global tätige Gegenwartskünstler mit südafrikanischen Wurzeln treffen sich in der Wiederkehr von Motiven und ihrer Vorliebe für das Schwarz-Weiß. Vor allem vereint sie eine intensive Beschäftigung mit Prozessen visueller Wahrnehmung.

Die Ausstellung in der Kunsthalle zeigt als zweite Station die Ergebnisse des DFGForschungsprojektes Evidenz ausstellen der Freien Universität Berlin und des Berliner Kupferstichkabinetts, die vom 20.11.2015 bis 06.03.2016 im Kulturforum Potsdamer Platz zu sehen waren. Die materielle Grundlage der Karlsruher Schau bildet der umfangreiche Bestand an Druckgrafik von Albrecht Dürer im Kupferstichkabinett der Kunsthalle. Des Weiteren sind zahlreiche Werke aus dem Besitz von William Kentridge und anderen Leihgebern zu sehen.

Ergänzt wird die Karlsruher Präsentation von einer Begleitausstellung in der Jungen Kunsthalle: Das Projekt Black and White lädt durch eigenes kreatives Arbeiten zur vertiefenden Beschäftigung mit verschiedenen Verfahrensweisen und Techniken der beiden Künstler ein. Einem Werk von William Kentridge kann man zudem an einem weiteren Ort in Karlsruhe begegnen: Das ZKM l Karlsruhe präsentiert zeitgleich seine Panoramaprojektion More Sweetly Play the Dance aus dem Jahr 2015.

Die Ausstellung in der Kunsthalle zeigt 110 Werke von Dürer und Kentridge, die in sieben Themenbereiche gegliedert sind. Im Ausstellungsrundgang werden inhaltliche, ästhetische und technisch mediale Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich. Die Präsentation entstand in Zusammenarbeit mit HOLODECK architects, Wien.

Ein zentraler Aspekt im Werk von Albrecht Dürer und William Kentridge ist das Arbeiten in Schwarz-Weiß. Beide Künstler verzichten in ihren Druckgrafiken auf Farbe und arbeiten bewusst mit dem Gegensatz von Schwarz (gedruckte Partien) und Weiß (Papierton), der eine hohe Abstraktionsleistung erfordert. Dürer war der erste Künstler, der alle bekannten druckgrafischen Techniken seiner Zeit – Holzschnitt, Kupferstich, Radierung und Kaltnadelradierung – nebeneinander und gleichwertig mit der Malerei angewendet hat. Zunehmend differenzierte er Parallel- und Kreuzschraffuren und setzte das Zusammenspiel von Linie und Fläche für die Wiedergabe von Plastizität, Oberfläche, Räumlichkeit und Expressivität ein. – William Kentridge gab die Farbmalerei auf, als er Mitte der 1970er Jahre das Tiefdruckverfahren der Radierung kennen lernte. Der Künstler ist jedoch in allen druckgrafischen Techniken versiert und experimentierfreudig: Holz- und Linolschnitt, Radierung, Aquatinta und Kaltnadel sowie Lithografie, Fotogravüre oder Monotypie. Die archaische Wirkung des Schwarz-Weiß, das er in seiner Druckgrafik ebenso wie in Kohlezeichnungen, Collagen und Filmen erprobt, geht einher mit den Motiven der wandelbaren Schattenbilder, die seine Kunst prägen und auf Platons Höhlengleichnis verweisen. In der antipodischen Thematik von Schwarz und Weiß spielt außerdem die biografische Verwurzelung von Kentridge in Südafrika und die dortige gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung eine wichtige Rolle.

Ein Bereich der Ausstellung widmet sich dem Thema Perspektive. Albrecht Dürer und William Kentridge verbindet die Beschäftigung mit Prozessen visueller Wahrnehmung und mit Fragen der Konstruktion von Bildperspektive. Dürer verfasste 1525 seine Underweysung der Messung, das erste groß angelegte Lehrbuch der Geometrie in deutscher Sprache. Der Schwerpunkt des Buches liegt im Erstellen der Zentralperspektive, die den sehenden Menschen zum Zentrum der perspektivischen Darstellung macht. Neben geometrischen Verfahren werden auch konkrete Zeichenapparate abgebildet, die als Hilfsmittel dienen können. – Kentridges Interesse gilt den unterschiedlichen Sehmodellen und Verfahren der Bilderzeugung, wie sie in der bildenden Kunst, der Fotografie oder im Film entwickelt wurden. Er beschäftigt sich vielfach mit dem Verhältnis von Betrachter und Werk und bezieht sich dabei wiederholt auf Dürer. Im Unterschied zu diesem geht es ihm nicht um normative Methoden der Darstellung, er thematisiert den Sehvorgang als solches. Durch die Verwendung von Stereoskopen und Spiegelglaszylindern wird der Anteil des Betrachters an der Seherfahrung offensichtlich. So verschieden die Ansätze der beiden Künstler auch sind, sie machen die Abhängigkeit der Wahrnehmung von individuellen Standpunkten und wechselnden Perspektiven deutlich und führen den Betrachter
zur bewussten Reflexion seines eigenen Blickwinkels.

Eine weitere Gemeinsamkeit der Künstler findet sich im Thema der Erinnerung. Die Struktur des gedruckten, schwarz-weißen Bildes ist dazu prädestiniert, Ordnung sichtbar zu machen. Albrecht Dürer und William Kentridge nutzen diese Eigenschaft der Druckgrafik, um beim Betrachter Zugänge zu Erinnerungen zu schaffen. Über einen Abstand von rund 500 Jahren bedeutet Erinnerung zwar bei beiden Künstlern etwas Anderes, doch ist sie jeweils an geschichtliche bzw. politische Ereignisse geknüpft. Die Gegenüberstellung von zwei emblematischen Werken – Dürers Ehrenpforte und Kentridges Remembering the Treason Trial (In Erinnerung an den Landesverratsprozess) – verdeutlicht diese Bezüge.

Besonders evident werden die Gemeinsamkeiten beider Künstler an einem beliebten Motiv: dem Rhinozeros. Von Dürer gibt es nur ein Nashorn-Bild, das jedoch in der Folgezeit einen ikonischen Status erreichte. 1515 zeichnete der Künstler das ungewöhnliche Tier nach einer Beschreibung. Unzählige Zitate und Kopien in unterschiedlichsten Gattungen erschienen von Dürers Rhinozeros vom 16. Jahrhundert bis heute. Während sein Bild das fremde Tier in strenger, beschreibender Seitenansicht und bewegungsloser Haltung zeigt, befreien sich Kentridges Nashörner aus der Starre. Der koloniale Blick des 16. Jahrhunderts wird aufgebrochen und das Tier zu einer Metapher für Freiheit und Selbstbestimmung. Kentridge zeigt das schwere Tier aber auch anders: An Seilen hochgezogen strampelt es hilflos mit den Beinen, vor dem Fressnapf hat es sich hingesetzt wie ein domestizierter Hund. Die Titel der Blätter (Publikumsliebling, Dummkopf) unterstreichen die Herabwürdigung der Tiere in Gefangenschaft.

 

Text: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe | Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Externer Link: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

 

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