„DIE KERZE“ im MUSEUM FRIEDER BURDA

22.10.16 – 29.1.17 | Museum Frieder Burda

Ausgangspunkt der Ausstellung ist die „Kerze“ von Gerhard Richter. Über 50 Gemälde, Skulpturen, Installationen, Videoarbeiten und Fotografien, unter anderem von Marina Abramović, Georg Baselitz, Christian Boltanski, Thomas Demand, Urs Fischer, Eric Fischl, Peter Fischli und David Weiss, Jörg Immendorff, Karin Kneffel, Jeff Koons, Alicja Kwade, Nam June Paik, A. R. Penck, Andreas Slominski und Thomas Ruff, stellen zudem die Aktualität des Themas in der zeitgenössischen Kunst unter Beweis.

Aufrecht steht die Kerze – als ein Symbol für die Dauer eines Lebens, für erhellende Aufklärung im Zeichen der Ratio, für einen Hoffnungsschimmer am Horizont, aber auch für ein latentes sexuelles Begehren. Von der physikalischen Lumineszenz bis zur spirituellen Transzendenz, von der Vanitas bis zum Eros: Die Kerze als Bildmotiv hat vielfältige Bedeutungen. Mit dem inzwischen zur Ikone gewordenen Kerzen-Bild von Gerhard Richter besitzt die Sammlung Frieder Burda ein zentrales Werk zum Thema – und nimmt es gerne zum Anlass, die Komplexität des Themas auszuleuchten und es nach seiner Aktualität in der zeitgenössischen Kunst zu befragen.

Frieder Burda zu der Ausstellung: „Das Bild „Kerze“ von Gerhard Richter gehört zu den Ikonen meiner Sammlung. Viele Besucher und Freunde unseres Hauses identifizieren sogar das Wesen der Sammlung mit dieser Bildidee. Umso mehr freue ich mich, dass es uns gelungen ist, eine so hochkarätige, vielfältige, bisweilen auch provokante Ausstellung rund um das Thema präsentieren zu können.“ Und Helmut Friedel, Kurator der Ausstellung: „Das Kerzenmotiv zieht den Betrachter aufgrund der elementaren Daseinserfahrungen von Leben, Liebe und Tod, die sich mit der Kerze verbinden, in seinen Bann. Mit diesen vielschichtigen Inhalten und Ausdrucksebenen bildet das Gemälde Richters aus der Sammlung Frieder Burda den Ausgangspunkt einer Betrachtung zeitgenössischer Kunstwerke mit gleichem Motiv.“

Die Kerze als alltägliches Bildmotiv
Von der Taufe bis zur Aufbahrung der Toten begleitet die Kerze unser Leben, sie leuchtet auf Adventskränzen und Geburtstagstorten, in der Kirche, bei politischen Mahnwachen oder beim romantischen Candlelight Dinner. Nach den Terroranschlägen von Paris und Brüssel stellten tausende Menschen nicht nur an den Tatorten, sondern auch auf anderen Plätzen dieser Welt brennende Kerzen auf. Sie brachten damit ihre Trauer zum Ausdruck und bekundeten gleichzeitig ihre Solidarität mit den Opfern. So sind Kerzen seit jeher grundlegender Bestandteil religiöser Praktiken – vor allem an der Schnittstelle von Leben und Tod, von göttlicher Ewigkeit und menschlicher Vergänglichkeit: Sie versinnbildlichen das Immaterielle oder Transzendente und stehen für die Beziehung zwischen Geist und Materie.

Zur Genese des Bildmotivs
Schon bei den Künstlern des ausgehenden Mittelalters ist die Kerze fest im religiösen Bildrepertoire verankert, wo sie Szenen aus dem Leben Christi oder Mariens symbolisch auflädt. Mit Caravaggio und seinen Nachfolgern verleiht das Kerzenlicht dem Interieur eine dramatische Stimmung – und einen versteckten Hinweis auf einen bedeutungsschweren Subtext. Vor allem in der niederländischen Stillleben-Malerei wird der Gedanke an die Endlichkeit allen Lebens durch die Kerze zum Ausdruck gebracht. Im Zeitalter der Aufklärung ist sie Sinnbild wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Die Romantik lässt mit der Kerze ein Sehnsuchtsmoment aufleuchten, die Expressionisten finden in ihr ein ausdruckstarkes Motiv. So greift etwa Max Beckmann in zahlreichen Bildern auf tradierte Bedeutungsformeln der Kerze zurück und kombiniert diese mit seinen bahnbrechenden malerischen Errungenschaften. Auch Pablo Picasso nutzt die symbolische Vielfältigkeit des Kerzenmotivs in einigen Stillleben, wobei er sie mit ganz persönlichen Bedeutungen versieht – eines seiner Kerzenbilder von 1952 soll für seine erloschene Liebe zu Françoise Gilot stehen.

Gerhard Richters „Kerze“
All das ist Gerhard Richter sicherlich bewusst, als er sich 1982 intensiv der Kerze als Bildmotiv zuwendet, auch wenn ihn selbst gerade die Schlichtheit des Motivs reizt. Seine Vorliebe zu (Kerzen-)Stillleben erklärt er wie folgt: „Weil sie uns umgeben. Wir brauchen sie alle. Meine Arbeit hat mit dem Versuch zu tun, etwas zu machen, was heutzutage verstanden werden kann.“ Damit verweist der Künstler auf eine der Kerze innewohnende, besondere Qualität: Sie ist ein uns vertrautes symbolisches Objekt. Bis heute hat Gerhard Richter 29 Gemälde zum Thema geschaffen, eines davon ist in Besitz der Sammlung Frieder Burda, ein weiteres („Schädel mit Kerze“) sowie drei Kerzeneditionen und vier Atlastafeln, die dem Künstler zur Vorbereitung des Kerzenzyklus dienten, werden nun als visueller Bezugspunkt in der Ausstellung gezeigt.

Mit großer Ausstrahlung: Gerhard Richters Schülerin Karin Kneffel hat zudem extra für die Ausstellung eine neue Bildserie entworfen, die sich auf sein ikonisches Kerzenmotiv bezieht. Kneffel übernimmt dabei zwar das Richtersche Format, die Komposition, die Bildaufteilung. Aber ihre Welt ist eine der Reflexionen, der Spiegelungen, der Irrealisierung. Kühle kennzeichnet die Bilder und eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Dominanz des in jeder Weise aufgeladenen Motivs.

Die Kerze als Motiv zeitgenössischer Kunst in den verschiedensten Medien
Karin Kneffel ist nicht die einzige zeitgenössische Künstlerin, auch andere Künstler und Künstlerinnen haben sich in den verschiedensten Medien mit dem Thema auseinandergesetzt: Allen voran die Phalanx der großen deutschen Malerei seit den 80er Jahren. Neben Markus Lüpertz und A. R. Penck sind vor allem Georg Baselitz und Jörg Immendorff zu nennen. Mit dem wortspielartigen Titel „Kerzenfriedenfreud“ spornt Georg Baselitz den Betrachter zu einer möglichen Entschlüsselung regelrecht an – die Kerze taucht hier als Synonym für verdrängte Sexualität und Begierde auf. Vom Künstler selbst als „Negerchen mit Kerze“ betitelt, ist die Arbeit von Jörg Immendorff eine einzige Provokation. Sie zeigt die karikativ überzogene Darstellung eines Schwarzen, der mit aufgeblasenen Backen eine Kerze auspustet – ein ebenso giftiger wie entlarvender Kommentar zu jeglicher gutbürgerlichen Form von Rassismus.

Poppiger – wenn auch in kritischer Distanz zur Pop Art – der große amerikanische Künstler der 80er Jahre: Jeff Koons. Bikinis und Unterwäsche, Haarsträhnen, nackte Haut, Blumen sowie Landschaftsausschnitte mit Bergen und Seen verbinden sich in seinem Bild „Candle“ zu einer überbordenden Collage. Hier geht es um die Sexualisierung der Warenwelt durch die Werbeindustrie, bei der auch unschuldige Sehnsuchtsmotive zu Konsumgütern (de-)generiert werden.

Mit der vermeintlichen Banalität und Alltagstauglichkeit des Motivs spielt auch Robert Gober. Geradezu bizarr erscheint seine Kombination aus einem flachen Stück Bienenwachs, das mit Menschenhaar beklebt wurde und aus dem eine Kerze emporwächst. Obwohl diese Kerze in einem „jungfräulichen Zustand“ gezeigt wird – sie brennt nicht und soll auch nie brennen –, hat sie bereits jede Unschuld verloren, so deutlich wird sie hier als Phallus inszeniert. Die Arbeit entstand zur Zeit der AIDS-Krise in Amerika als Angstdebatten um den HI-Virus auch die Künstlerszene erreichte. Sie steht zugleich für ein stilles Gedenken an all jene, die der Epidemie zum Opfer fielen.

Mit einer schwarzen Zierkerze, eine aus Peracryl nachgegossene Imitation in ihrer ganzen pathetischen Hässlichkeit, konfrontiert den Betrachter das Künstlerduo Fischli/Weiss. Fischli/Weiss strebten während ihrer gemeinsamen Schaffensphase (bis zum Tod von David Weiss 2012) eine Enthierarchisierung der Dingwelt an. Das Künstlerduo nahm dadurch konsequent den uns umgebenden Originalitätswahn aufs Korn und stellte ihm mit viel Witz und Ironie eine andere, simple Erklärung der Welt entgegen.

Ein anderer Schweizer Künstler, der mittlerweile in New York lebende Urs Fischer, entflammt Kunstwerke seiner Künstlerkollegen. Unvergessen die in Originalgröße aus Wachs nachgegossene Skulptur Giambolognas, die auf der Biennale in Venedig 2011 spektakulär dahinschmolz. Im Museum Frieder Burda trifft es Dan Flavins „Monument 1 for V. Tatlin“, eine aus weißen Leuchtstoffröhren bestehende Lichtinstallation. Diese überträgt Fischer in das konträre Material Wachs. Während bei Flavin das (elektrische) Licht die Skulptur überhaupt erst ermöglicht, ist bei Fischer das (Kerzen-)Licht Auslöser seiner Zerstörung. Gerade der Prozess des Dahinschmelzens ist wiederum wichtigster Bestandteil seiner Skulptur, wie er selbst sagt: „Die Natur sieht einfach gut aus, und der Zerfall ist doch das eigentlich Schöne daran.“

Ganz anders und fest in der Tradition fernöstlicher Meditation und Einkehr verankert ist die berühmte Kerzen-Installation von Nam June Paik mit dem Titel „Buddha“ von 1989. Durch die Kombination von westlicher Technologie und östlichem Denken stellt Paik eine Verbindung her zwischen dem buddhistischen Glauben an die ewige Wiederkehr und der Reproduktion des immer Gleichen im elektronischen Medium. Damit befand er sich 1989 auf der Höhe der medientheoretischen Debatten. In der ebenfalls gezeigten spektakulären Videoarbeit „One Candle“, die Nam June Paik 1989 im Portikus Frankfurt realisierte, treten eine einfache Kerzenflamme und komplizierte Videotechnologie in ein spannungsreiches Verhältnis.

Die Kerze als reduziertes, aber umso ausdrucksstarkes Bildmotiv wählt auch Christian Boltanski für viele seiner Arbeiten. „Les Ombres“ – „die Schatten“ ist eine der bekanntesten Installationen aus Christian Boltanskis Serie „Théâtre d’Ombres“. Sechs kleine Scherenschnitte aus Blech werfen, von den Flammen der Teelichter beleuchtet, ebenso zarte wie unheimlich anmutende, flackernde Schatten an die Wand. Mit seinem Schattentheater wendet Boltanski sein Thema der Erinnerungsarbeit ins Allegorische, in dem das spannungsreiche Verhältnis von Tod und Leben aufscheint.

Einen spirituellen Charakter hat auch Jeppe Heins „Candle Box“ von 2013. Die Kerze hinter einem dunklen Spiegel verweist auf den spirituellen Glauben an ein inneres Auge, das dazu befähigt, die Welt über das gewöhnliche Sehvermögen hinaus wahrzunehmen und einen bestimmten Zustand der Erleuchtung zu erreichen. Ebenso erinnert die auf Kopfhöhe erscheinende Flamme an die traditionelle Darstellung des Pfingstwunders, dass die Apostel auf wundersame Weise befähigte, andere Sprachen zu sprechen, um damit alle Menschen unabhängig von ihrer Nationalität und Ethnizität zu erreichen. Dieser Ikonografie ähnlich scheint auch dem Betrachter der „Candle Box“ sprichwörtlich „ein Licht aufzugehen“, ihm wird hier ein „Spiegel vorgehalten“.

Doch es sind nicht nur männliche Künstler, die sich dem vielschichtigen Thema widmen: Marina Abramović, die in ihren Performances die Grenzen des körperlich wie seelisch Erträglichen ausgelotet hat, fordert in dem Selbstporträt „Artist Portrait With a Candle“ aus der Serie „With Eyes Closed I See Happiness“ den Betrachter dazu auf, durch das Betrachten einer brennenden Kerze einen meditativen Zustand innerer Ruhe zu erlangen.

Ihre jüngere Kollegin, Alicja Kwade, „teleportiert“ in ihrer gleichnamigen Arbeit drei auf dem Boden stehende, brennende Kerzen, indem sie sie entlang einer paravant-artig gefalteten Glaswand so platziert, dass sie sich mehrfach in gegenüberliegenden Wänden spiegeln und scheinbar von einer Seite zur anderen übergehen – hier geht es um die Frage nach den Möglichkeiten, Licht oder Energie zu transportieren.

Mit den Medien der Zeichnung und Fotografie spielt die bekannte amerikanische Konzeptkünstlerin Louise Lawler. Ihre Arbeit „Still life (Candle)“ geht auf eine Farbfotografie von 2003 zurück, die ein sogenanntes „date painting“ des japanischen Künstlers On Kawara an der Wand eines privaten Interieurs zeigt. Wie das Gemälde an der Wand erzählt auch der unterhalb stehende Tisch vom unerbittlichen Verrinnen der Zeit: Leere Weingläser, die Kerze, ein voller Aschenbecher und eine zerknüllte Serviette erinnern daran, dass der Tisch kurz zuvor noch Schauplatz eines Essens und einer Unterhaltung gewesen sein muss.

Fotografie ist auch das Thema von Thomas Ruff. Seine Arbeit zeigt ein unscharfes Schwarzweiß-Foto, eine Szene aus einem deutschen Wohnzimmer der 1980er Jahre, in dessen Zentrum ein laufender altmodischer Fernsehapparat steht. Auf dem Fernsehapparat steht wiederum eine Weihnachtspyramide mit brennenden Kerzen. Zwischen 1981 und 1991 sammelte der Künstler rund 2.500 Abbildungen aus deutschsprachigen Zeitungen und wählte aus diesem Archiv 400 Bilder aus, die er abfotografierte, nummerierte und ohne erklärende Bildunterschriften wiedergab. Die resultierenden Werke werfen dabei die Frage auf, wie verständlich die Fotos bleiben, wenn ihnen der ursprüngliche Informationszusammenhang genommen wird – und der Betrachter zwangsläufig in die Rolle des Detektivs schlüpfen muss.

 

Text: Museum Frieder Burda | Foto: Museum Frieder Burda
Externer Link: Museum Frieder Burda

 

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