Gesellschaftspolitische Selbstzufriedenheit. Wo findet im diesjährigen Wahlkampf die Kultur statt?

Ein Kommentar von Mathias Fritzsche in der kunst:art 57

Deutschland bekommt einen neuen Bundestag und eine neue Regierung, am 24. September wird gewählt. Im Moment gilt es als sicher, dass dem neuen Bundestag mit der FDP und der AfD zwei weitere Parteien angehören werden. Die Reihenfolge der „kleinen“ Parteien ist noch vollkommen ungewiss. Wer die stärkste Partei sein wird, gilt zwar schon als ausgemacht, aber noch machen sich auch die Sozialdemokraten Hoffnung. Wie sich die neue Regierung zusammenstellt, ist hingegen noch vollkommen offen. Eines aber ist jetzt schon klar: Die Kultur ist kein Gewinner der Wahl! Das wird anhand dreier Thesen deutlich.

Da sind zum einen die Kunstschaffenden und die im Umfeld arbeitenden Menschen. In vergangenen Wahlkämpfen war es nicht unüblich, dass sich diese auch klar positionierten. Davon bekommt man diesmal so gut wie nichts mit. Leidtragender davon ist Martin Schulz, denn es waren vor allem immer sozialdemokratische Kandidaten, die gerade aus der Kultur heraus massiv unterstützt wurden. Früher war die SPD die einzige Partei, die etwas gegen den Mief in der Gesellschaft machen konnte (1950er und 1960er Jahre), dann hat Willy Brandt unendliche Sehnsüchte geweckt (1970er Jahre) und anschließend galt es gegen den Konservatismus unter Kohl aufzustehen (1980er Jahre). Gerhard Schröder schließlich war der Kandidat (und später der Bundeskanzler), der den vielleicht besten Draht zu Kunst und zu einigen befreundeten Künstlern hatte (1990er und 2000er Jahre). Doch mit Angela Merkel hat sich viel verändert, mit der Willkommenskultur, für die sie stand, hat sich das verstetigt. Auch aus der Kultur heraus gilt die christdemokratische Kanzlerin nicht – im Gegensatz zu Kohl – als Gegnerin oder negative Projektionsfläche. Zugleich sind alte sozialdemokratische Schlachtrösser verstorben oder in die Jahre gekommen.

Zum anderen gibt es keinen dramatischen thematischen Streit um Kulturpolitik. In dem Maße, wie die SPD heutzutage nicht mehr für einen gesellschaftlichen Aufbruch, neue demokratische Ideen und eine weitere Zukunftsvision steht, hat sich auf der anderen Seite die Christdemokratie endgültig – so scheint es zumindest – vom Mief der 1950er Jahre gelöst, für den zuletzt Politiker wie Roland Koch noch vor wenigen Jahren standen. Auf der einen Seite keine Ideale, für die man kämpfen möchte, auf der anderen kein Feindbild, das man bekämpfen müsste – wofür soll sich also die Kultur einmischen, inwiefern ist sie überhaupt ein Thema?

Und das ist der dritte Punkt: Tatsächlich geht es selbst bei der Kulturpolitik und Gesellschaftspolitik der Parteien hauptsächlich um Zahlen. Dabei wäre gerade heute eine progressive Gesellschaftspolitik der Mitte-Links-Parteien von großer Bedeutung! Denn von außerhalb der Grenzen droht doch manches Ungemach. In der Ferne brodelt es mit einer erzkonservativen Politik eines Donald Trump, im Ferienparadies der Deutschen, in der Türkei, wird verhaftet, wer auch nur ansatzweise gegen die Linie oder Person von Erdogan ist, und auch ganz nah in Ungarn und Polen wird an Errungenschaften einer modernen Gesellschaft die Axt angelegt. Es gibt also eigentlich keinen Grund für die progressiven Parteien, in Selbstzufriedenheit zu verfallen. Insbesondere auch deshalb nicht, weil ja auch in Deutschland gleich in doppelter Hinsicht Herausforderungen warten: Eine sich selbstverständlich durch Zuzug von Flüchtlingen verändernde Gesellschaftsstruktur und eine rechtsnationale Partei, die recht lautstark eine Kulturpolitik fordert, die tatsächlich wieder an vergangene Tage erinnert. Den bürgerlichen Parteien ist da kaum ein Vorwurf zu machen, stehen sie doch heute für einen Status Quo, den man ihnen so fortschrittlich vor 10-20 Jahren niemals zugetraut hätte, weshalb ja jetzt auch eine rechtsnationale Partei überhaupt eine Chance hat. Aber die gesellschaftspolitische Selbstzufriedenheit der Mitte-Links-Parteien, namentlich der SPD und der Grünen, ist erschreckend. Keine wirkliche Vision, kein verzaubernder Esprit, der eine lebendige Kunstszene mitreißen könnte.

Nun könnte man meinen, dass das der Kultur ja egal sein kann. Ein Problem ergibt sich daraus in erster Linie für die Parteien, nicht aber für die Kultur. Vordergründig und vor allem kurzfristig ist das tatsächlich so. Aber wenn man sich das genauer anschaut, so ist das vor allem mittel- und langfristig für die Kultur ein Problem. Denn natürlich ist auch sie darauf angewiesen, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Unter einer verharrenden und selbstzufriedenen Gesellschaft, die mehr darüber nachdenkt, ob die Künstlersozialkasse zwei Rentenpunkte mehr an Kreative vergibt, als darüber, wo unsere Gesellschaft in 20 oder 30 Jahren stehen könnte, wird insbesondere die Kultur und die Stellung der Kultur in der Gesellschaft leiden!

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