Jahrzehntelang war „Christo“ bereits weltbekannt. Und doch verbargen sich hinter diesem geradezu markenhaften Namen schon immer zwei Menschen; seit sich Christo Javacheff (*13.06.1935) im Paris des Jahres 1958 als Porträtmaler durchschlug und seiner späteren Frau Jeanne-Claude de Guillebon (13.06.1935-18.11.2009) begegnete, da er beauftragt wurde, ein Porträt von ihrer Mutter zu malen.
Kongruent schon im identischen Geburtsdatum, schufen sie fortan in mehr als fünf Jahrzehnten monumentale ortsspezifische Projekte – und vollbrachten so manche diplomatische Meisterleistung.
Im ING Art Center Brüssel beschäftigt sich noch bin zum 25. Februar die Ausstellung „Christo and Jeanne-Claude. Urban Projects“ mit den heterogenen Ebenen ihrer Werkgenese.
Höhepunkt während dieser Laufzeit wird Christos Aufenthalt in der Stadt sein, da er Ehrengast der kommenden BRAFA Art Fair ist, die vom 27.1. – 4.2.2018 stattfindet. Speziell für diese Ehrung plant er in Brüssel eine Neurealisierung des Werks Three Store Fronts (1965-66), das erstmals im Van Abbemuseum Eindhoven zu sehen war. Damit wird Christo das größte Kunstwerk schaffen, das je auf der belgischen Kunstmesse gezeigt wurde.
Seit jeher stellen die beiden Künstler den ephemeren Charakter ins Zentrum ihrer Kunst. Zuletzt 2016 zu beobachten bei den Floating Piers, die nur 16 Tage auf dem italienischen Iseosee trieben und den Besuchern die Erfahrung suggerierten, direkt über das Wasser zu gehen. Nach gut zwei Wochen wurden die riesigen Stege abgebaut, die 100.000 Quadratmeter strahlend oranger Stoffbezug adäquat recycelt und die Kunst ist Erinnerung. Was bleibt da für eine museale Ausstellung?
Eine Menge – schließlich wurden beispielsweise die Floating Piers nicht weniger als 40 Jahre lang von Christo and Jeanne-Claude detailliert geplant.
In jene Planungsphasen ihrer Werke lädt die Brüsseler Ausstellung ein: Das ästhetisch-puristische Display kontextualisiert erste Zeichnungen, weiterführende Collagen und hochwertige Modelle miteinander, und schlägt den Bogen bis zu Dokumentationsfotos der finalen Projekte, die der Fotograf Wolfgang Volz seit Dekaden exklusiv für die Künstler anfertigt. Einzelne Entwicklungsschritte werden erlebbar; beispielsweise zeigen Skizzen die Drapierung des Stoffs, anfangs noch weiß gehalten. Erst später wird seine Farbe entschieden; sei es das leuchtende Pink der Surrounded Islands (1980-83) in Miami oder die Umbrellas (1984-91), Schirme, die in Kalifornien gelb und in Japan blau umgesetzt wurden. Ebenso wird dem Besucher der Schritt von den Zeichnungen zu einem dreidimensionalen Objekt anhand kleinteiliger Modelle nähergebracht.
Besonders diese Modelle verdeutlichen, dass die Künstler sich dem Außen, ihrer Umwelt, immer schöpferisch verbundener fühlten, als einer Inspiration aus dem Inneren. Sie verstehen sich selbst weniger als Künstler, mehr als (Landschafts)Architekten und Forscher, die die Welt erkunden, sie mittels ihrer Interventionen abtasten und (neu) entdecken. Ihr Ziel ist es nicht, durch ihre Kunst konkrete Inhalte zu vermitteln; Jeanne-Claude betonte oft, dass es in ihren Werken einzig um „Freude und Schönheit“ ginge. Sieht man The Gates, die 2005 die Wege des winterlichen New Yorker Central Park mit strahlendem Safrangelb bekränzten, oder die silbrigen Wrapped Trees (1997/98) vor der Basler Fondation Beyeler, ist die Ästhetik so unbestritten wie überwältigend. Doch zugleich werten die Installationen – auch ohne ein didaktisches Ziel – die Erfahrung des bearbeiteten Ortes um. Wenn das Gegenlicht den Stoff um die Bäume transparent werden ließ, rückte die hier besonders schmale Grenze zwischen Verhüllung und Enthüllung thematisch in den Mittelpunkt, und eine Reflexion über die Grenzen von Natur und Kultur wurde unumgänglich.
Hinter dieser perfektionistisch konzipierten „Freude und Schönheit“ steht jedoch nicht nur die in der Ausstellung gezeigte minutiöse technische und künstlerische Planung. Weite Landstriche, ganze Inseln, oder gar ein ikonisches Gebäude wie der deutsche Reichstag sind gewiss nicht kommentarlos zu verhüllen. Verhandlungen waren nötig; kontrovers, zäh, oft mehrere Dekaden lang. 54 Mal flog das Paar nach Deutschland, sprach mit zahllosen Kontakten – bis schließlich 79 Mitglieder aus der eigenen Partei gegen Helmut Kohl stimmten und das Reichstagsprojekt Realität werden konnte. Und besonders diese Diplomatie – sowie manche rhetorischen Tricks – waren Jeanne-Claudes großes Talent. Christo sagt man indes eher lebhaftes Temperament nach. Womöglich wäre die Mehrheit ihrer Großprojekte nie zu erreichen gewesen ohne Jeanne-Claudes geduldige, minutiöse Organisation und ihre charmante wie unnachgiebige Diplomatie. Und beide wertschätzen jene langwierigen Entwicklungsphasen als zentrale Energiequelle ihrer Werke.
So ergänzt sich Ehepaar und Arbeitsgemeinschaft, und scheint dabei nur einander brauchen zu wollen. Vor allem, Verpflichtungen mit Sponsoren einzugehen, war für sie nie denkbar – in Zeiten, in denen Wirtschaft wie Privatleute immer stärker den Kunstmarkt und auch das Ausstellungswesen beeinflussen. Umso beachtlicher, dass dennoch kaum ein Monumentalprojekt undenkbar ist für sie. Dazu haben Christo und Jeanne-Claude früh ein äußerst effizientes System entwickelt, über das sogar Ökonomen der Harvard Business School eine Fallstudie verfasst haben. Konzept ist, ihre Projekte einzig mit dem Verkauf der Vorzeichnungen, Collagen, Modelle und Dokumentationen zu finanzieren. In Hochphasen eines Aufbaus wird auch gelegentlich mit Krediten überbrückt, um die Helfer bezahlen zu können – doch die beiden blieben keiner Bank je einen Cent schuldig. Zu wichtig war immer, ihre künstlerische Autonomie und Entscheidungsmacht nicht an Dritte zu verlieren.
Durchdenkt man auf dem Weg durch die Ausstellung die Arbeitsweise dieses unabhängigen Künstler-Duos, das exorbitante Finanzierungen für Kunstprojekte erwirkte und privat bescheiden seit vielen Jahren dasselbe Haus im New Yorker Stadtteil SoHo bewohnt, wird deutlich, dass die Headline der Ausstellung, die beide Namen handschriftlich wie eine Unterschrift trägt, mehr ist als ein merkantiles Logo oder gar eine sentimentale Hommage: Ihre Kunst fußt auf der Symbiose und erwächst aus ihr, aus der Verschmelzung diametraler Temperamente und Talente, in einem Leben, das die Trennung beruflich/privat nie kannte.
Dennoch hat Christo seit dem Tod Jeanne-Claudes im Jahr 2009 die künstlerische Arbeit mitnichten niedergelegt. Er scheint gemeinsam entworfene Projekte, wie die Floating Piers, in ungebrochenem Teamgeist zu realisieren. Und man munkelt, dass er sogar weiterhin Briefe unterschreibt mit: Christo and Jeanne-Claude.
Ausstellungsdauer:
25.10.2017 – 25.02.2018
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, an allen Feiertagen und folgenden Montagen:
25/12/2017, 01/01/2018 und 12/02/2018
10:00 bis 18:00 Uhr,
mittwochs bis 21:00 Uhr
ING Art Center
Mont des Arts/Kunstberg
Place Royale/Koningsplein 6
B-1000 Brüssel
https://about.ing.be/About-ING/Art/Christo-Jeanne-Claude.-Urban-Projects.htm
Die Recherche und der Ausstellungsbesuch erfolgten im Rahmen einer Pressereise.
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