Ohne Happy End. – Videokünstler Ed Atkins im Berliner Martin-Gropius-Bau

bis zum 7.1.2018 | Martin-Gropius-Bau Berlin

© Ed Atkins, Production still for 'Old Food', 2017. Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown's Enterprise, New York, Rome and dépendence, Brussels.

 

von Karolina Wrobel //

 

Es sind unseren eigenen, intimsten Vorstellungswelten, die das Kapital der digitalen Welten ausmachen. Erst dort nämlich werden viele unsichtbare oder unsichtbar gehaltene Facetten unserer Wirklichkeit sichtbar gemacht: Freundschaften offenbaren sich in Listen sozialer Medien und selbst die in der Gesellschaft am meisten unerwünschten Neigungen finden im Darknet ihren hemmungslosen Ausdruck. Virtuelles Erleben ist dabei nicht bloß Ersatz, sondern bricht sich auch Bahn in der wirklichen Gefühlswelt. Selbst wenn es durch virtuelle, also künstliche Bilder erzeugt wird: Ekel ist so ein reales Gefühl, das einen ereilt, wenn man Menschen groteske, mit Kot und Kadavern belegte Sandwiches essen sieht. Ergriffenheit ist ein anderes, banal ausgelöst durch weinende Kinder. Selbst wenn sie durch nichtreale Bilder erzeugt wird. Und schon längst ist diese Hyperrealität in die Welt der Kunst eingezogen: Wie selbstverständlich hat dabei diese Kunstszene den Aufbruch ins “Hurra” des Digitalen Zeitalters ebenfalls längst hinter sich gelassen und begreift sich schon ganz abgeklärt als Post-Internet-Generation.

Einer, der dieser Generation zweifelsohne zugerechnet wird und doch ein Bildschöpfer ganz eigener Art ist, heißt Ed Atkins. Ihm liegt kaum etwas daran, Wirklichkeit virtuell nachzubilden. Die computergenerierten Räume und die seltsam unbeseelten Avatare des 1982 geborenen und in Berlin lebenden Briten verstecken ihre Künstlichkeit keineswegs. Die Macht des Digitalen in den Aktins’schen Videoarbeiten offenbart sich in ihrer Möglichkeit der Evokation von Erleben und nicht zuletzt von Gefühl. Ed Atkins behauptet dabei nicht, diese Machtwirkung aufgedeckt zu haben. Denn schon die traditionellen Bühnenkünste wie etwa das Theater oder die Oper setzten auch immer auf das emotionale Erlebnis. Bis vor kurzem noch musste man sich jedoch erst willentlich diesen Bühnenkünsten aussetzen, um Erleben in inszenierten Räumen Wirklichkeit werden zu lassen. So nahm man also Platz in einem Theatersessel und tauchte in fremde Welten ein. Das Neue heute sind die unzähligen Screens in unserem Alltag, die mit ihren unzähligen virtuellen Bühnen den Zuschauer auch ungebeten in ihre Welten einsaugen. Etwas von der wirklichen Welt wurde durch ihre virtuelle Möglichkeit verändert. Fiktion erhält eine neue, latente Größe.

In der Ausstellung “Old Foods” sind diese Grenzen und Möglichkeiten des Geschichtenerzählens von Ed Atkins fein ausgelotet. Den 89 Videomonitoren, die zu flächigen Projektionsflächen zusammengeschaltet sind, werden Kostüme aus dem Fundus der Deutschen Oper gegenübergestellt. Dabei ist nicht nur die historische Distanz und Oberflächlichkeit dieser für Aufführungen geschaffenen artifiziellen Räume offenbar. Der Besucher wird selbst zum bewegten Objekt einer Inszenierung: “Das Museum ist auf deinen Körper angewiesen”, lautet der Hinweis des Künstlers, der an einer Wand abzulesen ist. Spätestens da scheinen die seltsam taumelnden, künstlichen Figuren in Atkins’ Filmen eine Form der Verwandtschaft mit dem Museumsbesucher einzugehen. Und so wie die Figuren durch eine Fantasywelt wandern, so bewegen sich auch die Ausstellungsbesucher durch einen verstörenden Realismus ohne Aussicht auf Erlösung. Das vermitteln ihm die Bewegtbilder und ihre Klangwelten: Das Klavierstück, das zum Träumen einlädt, versandet in sich immer wiederholenden Schleifen. Die Melodie, nennen wir sie Leben, hat keine Aussicht auf einen logischen Endpunkt. Weder in der digitalen, noch in der realen Wirklichkeit.

 

Ed Atkins. Old Food
bis zum 7.1.2018, Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstr. 7, D-10963 Berlin
Tel.: +49-30-254860
Mo + Mi – So 10 – 19 Uhr
Eintritt: 11 €, erm. 7 €
www.martin-gropius-bau.de

 

Text aus der kunst:art 58

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