Könnte der Rand das Wichtigste sein? – Fotografie von Silke Grossmann im Hamburger Ernst Barlach-Haus

19.11.2017 – 28.1.2018 | Ernst Barlach-Haus

Silke Grossmann, Boissow, 2004.

 

von Dieter Begemann //

 

Was das Besondere an der Kunst dieser Fotografin ist, wird so recht deutlich, wenn wir uns auch nur kurz der Tradition der Bildgattung Landschaft erinnern: Da haben wir immer den zentrierenden Blick, der das „Wichtige“ fokussiert, die Felsformation, den eindrucksvollen Baum, den Sonnenuntergang und was dergleichen mehr ist. Dieser eigentliche Anlass des Bildes, ganz gleich ob gemalt oder fotografiert, wird meist flankiert von Tiefe erzeugenden Rändern oder auch nur dem zufällig Abgeschnittenen. Die Fotografin Silke Grossmann aber setzt den Randphänomenen bildnerische Denkmäler, und gleich im doppelten Sinne des Wortes. Bewegungen an der Peripherie ist die große Schau überschrieben, die das Hamburger Ernst Barlach Haus im Jenisch Park ihr nun widmet. Äußerer Anlass der Ausstellung ist die Verleihung des Edwin-Scharff-Preises 2016 an die Fotografin. Wobei der Terminus „Fotografin“ womöglich zu leichtgewichtig daherkommt, vielmehr müsste man hier wohl, ein wenig altertümlich und fast pathetisch, von einer „Lichtbildnerin“ sprechen …

Die 1951 in Hamburg geborene Grossmann hat an der örtlichen Kunsthochschule studiert, an welcher sie 1995 bis 2016 eine Professur für Fotografie innehatte. Zur Elbstadt, der sie bis heute treu geblieben ist, kam später ein zweiter Lebens- und Arbeitsstandort hinzu, nämlich der Schaalsee im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern. In einer Zeit, wo nichts – auch für Künstler – so unwiderstehlichen Magnetismus entwickelt wie die Metropolen, ist die Entscheidung für einen Ort, der Stintenburger Hütte heißt, schon fast programmatisch. Aber nichts könnte dieser Künstlerin ferner sein als Provokation um ihrer selbst willen. Vielmehr entspricht die lokale und geografische Randlage dem ureigensten künstlerischen Interesse. Denn genau das, was sonst so zum bildkompositorischen Aschenputteldasein verurteilt ist, kommt hier in den Fokus: Ein Baumstamm, der ein wenig verknurpselt erwächst aus blätterbestreutem Waldboden, der leicht windschiefe Verhau mickriger kleiner Stämmchen gleich nebenan, die unscheinbaren Bachläufe mit ihren unordentlichen Übergangszonen zwischen Trockenem und Wässrigem, die höckerübersäte Brachwiese …

Das Unscheinbare, das dem nach beautyspots dürstenden Auge entgeht, das durch und durch Unspektakuläre, es verweist vielleicht auf das tiefere Sein der Natur, gewiss aber auf die Mechanismen unserer Wahrnehmung. Die Künstlerin selbst formuliert es so: „Landschaft oder vielmehr abgelegene Naturstücke in meinen Fotografien sind als ein mich umgebender, nicht gerichteter Raum aufgefasst, der den Blick bewegt, in dem ich verweile, den ich langsam im Gehen erlebe.“ Das Verweilen, die Langsamkeit, die, man möchte sagen, Sorgsamkeit der Wahrnehmung ist den Kompositionen von Silke Grossmann anzusehen. Bewegung an den Rändern des Blickfelds teilt sich mit in den eigentümlich verschobenen Schrägen, die den Bildaufbau der S/W-Aufnahmen charakterisieren, ganz still und doch irgendwie beunruhigend!

 

Silke Grossmann – Edwin-Scharff-Preisträgerin 2016
Bewegungen an der Peripherie
19.11.2017 – 28.1.2018, Ernst Barlach-Haus
Jenischpark, Baron-Voght-Str. 50a, D-22609 Hamburg
Tel.: +49-40-826085
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 5 €
www.ernst-barlach-haus.de

 

Text aus der kunst:art 58

Über Dieter Begemann 298 Artikel
Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!

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