Die Axt für das gefrorene Meer. – Buchwelten im Museum Sinclair-Haus

Lori Nix, Library, 2007.

 

von Sabine Scheltwort //

 

Wer ein Buch hat, ist nie einsam und langweilt sich nie. Ein gutes Buch ist eine ganze Welt, gepresst zwischen zwei Deckel. Mit einem Buch können wir Menschen kennenlernen, die uns im realen Leben nicht begegnen würden, können Landschaften erkunden, die wir sonst nie bereisen würden, und gemeinsam mit den Buchhelden Dinge ausprobieren, die wir uns sonst nie trauen würden. Ein Buch öffnet Horizonte über die Grenzen des eigenen Lebens hinaus. „Das Buch ist die Axt für das gefrorene Meer in uns“, schrieb Franz Kafka, einer der größten Schreibkünstler.

Diese immateriellen Welten, in denen andere Gesetze gelten, haben auch die bildenden Künstler immer wieder fasziniert. Zum einen natürlich die darin erzählten Geschichten, die sie häufig zu Illustrationen inspirieren. Zum anderen aber auch die Materialität der Buchstaben, des Papiers, der klaren kubischen Form. Die Ausstellung Buchwelten im Museum Sinclair-Haus zeigt jetzt beide Seiten. Zeitgenössische Künstler lassen neue Landschaften aus beschriebenen Seiten wachsen. Sie übermalen Wörter und schaffen daraus neue Buchstaben-Landschaften. In Su Blackwells Arbeit „White Flowers“ von 2017 wachsen weiß getünchte Blumen aus dem aufgeschlagenen Buch. Umgekehrt lässt Alicia Martin in ihrer Installation „Jardines“ blaue, rote, grüne, bunte Bücher wie Blumen aus einem Rasen sprießen.

Wie Bücher den Geist zum Fliegen bringen, ist in Peter Wüthrichs 1994 entstandener Arbeit „Return – here, there and everywhere“ zu erspüren. Er lässt ein Buch frei und ungebunden über einen Wald schweben – schwer vorstellbar, dass es sich wieder einfangen lässt. Der 1962 geborene Schweizer begann während seiner Ausbildung zum Grafiker zu malen und machte 1991 eine erste Installation mit Brockhaus-Bänden. Seitdem ist das Buch sein Hauptmotiv. Dabei interessiert ihn sowohl die Materialität als auch der Inhalt. Die Macht der Bücher war von den Nazis so gefürchtet, dass sie sie verbrannten. Auch darauf nimmt die Ausstellung Bezug mit der Arbeit von Hubertus Gojowczyk. Der Konzeptkünstler gestaltet seit 1968 Buchobjekte. Sein Brandbuch 4 von 1972 streckt uns gewellte verkohlte Seiten entgegen.

Als „Desaster mit subtilem Humor“ beschreibt die Amerikanerin Lori Nix ihr Werk. Sie zeigt mit „Library“ von 2007 eine wunderschöne mehrgeschossige Bibliotheksruine, in der Bäume wachsen. Es ist ein romantisches, kleines Diorama aus Pappe, das sie selbst in mühevoller Kleinarbeit baute und dann fotografierte. Ergänzt werden die zeitgenössischen Arbeiten durch Holzbücher aus der etwa 200 Jahre alten Hohenheimer Holzbibliothek, eine der größten Xylotheken Deutschlands. Diese Buchattrappen beschreiben verschiedene Holzarten und ihre mögliche Nutzung in Form von kunstvoll gefertigten Präparaten.

Ein gutes halbes Jahrtausend nach der Erfindung des Buchdrucks liegt ein Hauch von Melancholie über der Ausstellung, die noch einmal diese großartige Erfindung zelebriert. Eine vergleichbare Faszination mit Smartphone und Kindle zu erzeugen, ist schwer vorstellbar.

 

Buchwelten
1.10.2017 – 4.2.2018, Museum Sinclair-Haus
Löwengasse 15, Eingang Dorotheenstr., D-61348 Bad Homburg v. d. Höhe
Tel.: +49-6172-404120
Di 14 – 20 Uhr, Mi – Fr 14 – 19 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 5 €, erm. 3 €
www.museumsinclairhaus.de

 

Text aus der kunst:art 58

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