Liberalität und Solidarität

Ein Kommentar von Mathias Fritzsche in der kunst:art 59

 

Was darf Kunst? Was darf Kunst nicht? Und was darf Kunst vielleicht zwar, sollte sie aber dennoch nicht machen? Das sind scheinbar banale Fragen und doch sind sie ganz entscheidend und schwer zu beantworten … Eine weitere Frage scheint ebenso banal und ebenso kompliziert zu sein: Wie sollte man mit Kunst umgehen?

Nehmen wir zwei aktuelle Beispiele: Da wäre zum einen das Gemälde im New Yorker Metropolitan Museum von Balthus, „Thérèse, träumend“: In einer Online-Petition wird gefordert, dass das Bild entfernt werde (so der Titel der Petition) oder doch zumindest für den Betrachter in einen Kontext gesetzt werde (so ein Alternativvorschlag am Ende des Petitionstextes). Besagte Thérèse, offensichtlich ein Mädchen und keine Frau, sitzt in aufreizender Pose vor dem Betrachter. Der Maler, Balthus, malte das Bild 1938 und ist, so anerkannt er auch als Künstler ist, doch durchaus verrufen, was seine Bildinhalte angeht.

Sollte nun also der Zeitgeist entscheiden, was gezeigt wird? Darf man in Zeiten des IS-Terrors nicht mehr Werke von Judith, die Holofernes enthauptet, zeigen? Andererseits: Kann man überhaupt vermeiden, dass der Zeitgeist entscheidet, denn beispielsweise Karikaturen aus der Zeit des sogenannten „Dritten Reiches“, in denen Juden verhöhnt und lächerlich gemacht werden, wird man wohl kaum ohne Kontextualisierung zeigen …

Der Kommentator selbst ist in der aktuellen Debatte durchaus hin- und hergerissen. Zwar kommt eine Zensur tatsächlich nicht in Frage, aber ist es verkehrt, wenn der Betrachter bessere und mehr Informationen bekommt? Andererseits: Wollen wir damit sagen, dass der Betrachter nicht selbst in der Lage ist, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden? Möchten wir, dass uns ein Kurator nicht nur sagt, dass dies und jenes gute Kunst ist, sondern dass uns Kuratoren auch noch sagen, was moralisch vertretbar ist und was nicht?

Vielleicht sind das Parallele und Differenz zur Me-Too-Debatte, aus deren Dynamik heraus sich – so wird immer wieder gemutmaßt – die Balthus-Petition entwickelt haben könnte. Einerseits gibt es im Falle der Kunst kein eindeutiges Fehlverhalten, aber identisch ist, dass eine Debatte darüber sinnvoll, vielleicht überfällig ist: Wie weit geht der moralische Auftrag von Museen und wie sollen sie ihm nachkommen?

Das zweite aktuelle Beispiel ist die neuste Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ in Eichsfeld (Thüringen). Deren Hauptaktion, das Mahnmal vor Höckes Haus, soll gar nicht weiter thematisiert werden, da die Aktion im Prinzip über jeden Zweifel erhaben ist und auch künstlerisch keinerlei Diskussion erfordert. Chapeau, perfekt! Aber mit dem zweiten Teil der Kunstaktion, der angeblichen und inzwischen als Bluff enttarnten Observierung Höckes durch das Zentrum, kommen wir zur Fragestellung, „was Kunst zwar vielleicht darf, aber dennoch nicht machen sollte?“.

In der Tat stellt sich die Frage, ob sich ein Künstler – hier ein Kollektiv – einen Gefallen damit tut, wenn er seine (künstlerischen) Freiheiten ausnutzt und damit seine restliche Arbeit diskreditiert. Es geht hier nicht um die vielzitierte Schere im Kopf, also eine Selbstzensur. Vielmehr geht es darum, dass die Sonderstellung, die Kunst zweifellos hat, auch eine immense Verantwortung in sich trägt. Wenn Grenzen des Erlaubten, wenn also die Grenzen der Kunstfreiheit ausgelotet werden, dann sollte das möglichst nicht zur Skandalisierung und zur Erhöhung des eigenen Marktwerts geschehen, sondern in sich inhaltlich begründet sein.

Denn gleich drei Gefahren drohen: Erstens kann die Grenze des Erlaubten unbeabsichtigt überschritten werden, was unangenehme Folgen haben kann. Zweitens können andere, weniger „schreiende“ Projekte oder Kunstwerke in den Hintergrund treten, aus dem Bewusstsein der Menschen schwinden. Und Drittens verschiebt sich mitunter auch das Erlaubte außerhalb der Kunst, wenn die Kunst mit Tabubrüchen voranschreitet. Es kann also dem Gegenteil des Beabsichtigten den Weg bahnen.

Doch bleiben wir beim Beispiel des „Zentrums für politische Schönheit“, welches also im November 2017 zwei Aktionen, die zwar zusammengehören, aber beide für sich alleine auch funktioniert hätten, gestartet hat. Die eine Aktion, das Mahnmal vor Höckes Haus, hatte zwar nicht nur Freunde, doch es gab, so schien es, große Zustimmung und Anerkennung. Die zweite Aktion aber, die vorgetäuschte Überwachung Höckes, hatte sehr schnell großen Widerstand erzeugt und ermöglichte Höcke zudem, in eine Opferrolle zu schlüpfen. Das Schlimmste aber war, dass sie die erste Aktion vollkommen übertönte.

Was haben die beiden Beispiele nun miteinander zu tun? Im Prinzip nichts und doch auch alles! Es geht wie immer um die Freiheit der Kunst! Der Kommentator wurde per Leserbrief einmal gefragt, ob er denn glaube, dass die Freiheit der Kunst wirklich gefährdet sei? Darauf gibt es nur eine Antwort: Ja! Jeden Tag und überall! Aber die Freiheit der Kunst wird nicht nur von der Politik, den Kirchen oder rechtsgesinnten Wutbürgern gefährdet, sondern auch durch die Kunst selbst und durch redlich besorgte Mitmenschen. Vielleicht sind einige (teils vor Generationen erkämpfte) Errungenschaften uns schon zu sehr zur Normalität geworden, auf dass wir vergessen haben, dass man jeden Tag und überall um sie ringen und kämpfen muss! Viele Freiheiten und Errungenschaften haben wir schon verloren in den vergangenen Jahrzehnten. Und es bedarf des täglichen intellektuellen Kampfes darum, dass nicht noch mehr Liberalität und Solidarität den Bach herunter geht …

Über Mathias Fritzsche 117 Artikel
Ein Thema jagt das nächste: Der Wochengipfel hält ein oder zwei Themen fest und bringt sie in Erinnerung. Was war vergangene Woche so wichtig, dass man Schnappatmung bekam und ist diese Woche dennoch schon vergessen? Oder über welche Nachricht hat man sich so gefreut, dass man auf den Balkon ging und die Nachricht für die ganze Welt in den Abendhimmel geschrien hat?

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