Ermattete Demokratie. – Politische Kunst der Gegenwart in der Frankfurter Schirn

21.3. – 27.5.2018 | Schirn Kunsthalle Frankfurt

Adelita Husni-Bey, The Sleepers, 2012. © Die Künstlerin, Courtesy Galleria Laveronica, Modica.

 

von Sabine Scheltwort //

 

„Das repräsentative Regierungssystem befindet sich gegenwärtig in einer Krise, teilweise, weil es im Laufe der Zeit alle Institutionen, die eine wirkliche Beteiligung der Bürger ermöglichten, eingebüßt hat, und teilweise, weil es inzwischen mit derselben Krankheit geschlagen ist, unter der das Parteiensystem leidet: gemeint ist die Bürokratisierung und die in beiden Parteien vorhandene Tendenz, niemand außer den eigenen Parteiapparat zu repräsentieren.“ Wie ein aktueller Kommentar liest sich diese Diagnose, die die Philosophin Hannah Arendt schon Ende der 1960er Jahre in den USA stellte. Während die Jugend in den arabischen Ländern für einen Frühling der Demokratie kämpft und sich blutige Repressalien einfängt, leisten sich gereifte Demokratien im Westen den Luxus der Ermüdung. Einer Ermüdung, die von populistischen Führern gerne für Demokratie-Bashing ausgenutzt wird, mit aufwändig gemachten Fake News Kampagnen. Sie wirken wie Aladins Wunderlampe auf so manchen, der sich in der globalisierten Welt hilflos fühlt und nur noch in den sozialen Medien Echoräume findet, die sein Selbstwertgefühl stärken. Zugegebenermaßen verspürt zurzeit selbst der glühendste Verfechter der Demokratie eine gewisse Ermattung angesichts monatelanger Parteigefechte, die sich Sondierungsgespräche für mögliche Koalitionen nennen.

Doch es regt sich Widerstand. Die Schirn konstatiert zumindest in Teilen des Kunstbetriebs eine Tendenz zur Politisierung und versammelt Positionen aus so unterschiedlichen Staaten wie den USA und Irak. Julius von Bismarck projiziert mit seinem Fulgurator einen glühenden Bundesadler aufs Polizistenwams, der vor brennenden Mai-Barrikaden Ordnung zu halten versucht. Der türkische Künstler Osman Bozkurt zeigt die Finger anonymer Menschen, an denen noch die Tinte klebt als Zeichen dafür, dass diese Bürger gewählt haben. Seine Fotoreihe „Marks of Democracy / Portraits of the voters“ ist jedoch nicht einfach wie es auf den ersten Blick scheint eine Huldigung an die Demokratie und die Menschen, die ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen. Anders als der Titel suggeriert, sind die Gesichter dieser Wähler überhaupt nicht zu sehen, das Individuum spielt keine Rolle. In der Türkei ist das Wählen wie in Nordkorea und Libyen nämlich nicht freiwillig, sondern Pflicht. Dabei kommt dann etwas heraus, was die italienisch-libysche Künstlerin Adelita Husni-Bey in „The Sleepers“ gemalt hat: der Totenschlaf der Demokratie. Ihre Versammlung schlaffer Körper in totaler Agonie wird in Libyen zum Protestbild bei Demonstrationen gegen die Untätigkeit der Herrschenden erhoben.

Dagegen provoziert Edgar Leciejewskis Arbeit „A circle full of ecstasy“ durch ihre Simplifizierung. Der 1977 in Berlin geborene Künstler setzt die erhobene rechte Hand von gewählten Volksvertretern wie Merkel und Obama anhand gefundener Fotografien in eine Reihe mit den Körperhaltungen von Assad oder Kim Jong-un. Vielleicht kann dies als Anstoß dienen, die Haltung zum eigenen Staat differenzierter zu reflektieren – und das qua Geburt geschenkte Glück, in Deutschland und nicht in Syrien regiert zu werden.

 

Power to the People
21.3. – 27.5.2018, Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römerberg, 60311 Frankfurt
Tel.: +49-69-299882112
Di – So 10 – 19 Uhr, Mi + Do 10 – 22 Uhr
www.schirn.de

 

Text aus der kunst:art 60

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