Ein gemachter Mensch

26.05. - 16.09.2018 | Kallmann-Museum Ismaning

W er bin ich eigentlich? Und warum bin ich so, wie ich bin? Fragen nach der eigenen Identität treiben jeden von uns um. Was an uns ist von vornherein festgelegt und unveränderbar, was gesellschaftliche Prägung, was eigene Entscheidung? Und wer entscheidet, wo ich hingehöre? Die Ausstellung „Ein gemachter Mensch“ im Kallmann-Museum widmet sich zentralen Aspekten, die bei der Herausbildung und Bestimmung individueller Identität von besonderer Bedeutung sind.

Die Ausstellung findet im Rahmen der Ausstellungsreihe „Identitäten“ der „Landpartie – Museen rund um München“ statt. http://www.landpartie-museen-muenchen.de/

Angesichts gegenwärtiger politischer Debatten sind Fragen nach der Identität hochaktuell, wird doch der Begriff gerne als Rechtfertigung für Ausgrenzung und Diskriminierung herangezogen. Dabei scheint die Bestimmung der menschlichen Identität im 21. Jahrhundert schwieriger denn je zu sein. Herkömmliche Identitäten lösen sich auf oder werden neu interpretiert, wodurch sich gänzlich neue Formen der Identitätsbildung zeigen, die außerhalb bisheriger Konstanten wie Religion, Ethnizität, Geschlecht und Nationalität liegen. Schließlich gibt es zahllose Möglichkeiten, seine eigene Identität durch Entscheidungen und Handlungen selbst zu formen – oder sie auch nur vorübergehend zu wechseln, etwa im Spiel. Gleichzeitig werden jedem von uns fortlaufend Merkmale zugeschrieben, auf die man als Einzelperson praktisch keinen Einfluss hat. Identität ist demnach das Ergebnis eines sich ständig verändernden Prozesses zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Dieser Prozess kann weder gänzlich erfasst noch kann er abgebildet werden. In der Ausstellung „Ein gemachter Mensch“ betrachten wir ihn aus verschiedenen Perspektiven.

Einige Werke gehen den Grundlagen des Mensch-Seins nach, etwa wenn Alicja Kwade die im menschlichen Körper enthaltenen chemischen Elemente in kleinen Pillen aufreiht, sie rahmt und mit „Selbstporträt“ betitelt; oder wenn Sali Muller mit Spiegeln einen sich selbst erkennenden Blick mal ermöglicht, dann wieder verhindert. Veronika Witte dokumentiert, welche Veränderungswünsche Menschen an ihren Körper haben, und stellt die Frage, wie weit die Gestaltung unserer Identität angesichts körperlicher Modifikationen gehen kann. Die Werke der Ausstellung untersuchen aber auch, wie sehr der Alltag und unsere Gewohnheiten Identität prägen. Sandra Filic etwa untersucht alltägliche Abläufe indem sie Handlungen aus dem Leben anderer Personen vollzieht, während Daniela Risch sich in ihrer Fotoserie „Helga“ in der Kleidung, Haltung und Wohnumgebung ihrer Mutter zeigt – und damit unsere Erwartungen irritiert. Iwajla Klinke wiederum spürt alten, bis heute bestehenden Riten und deren Gewändern nach. Und Martin Brand zeigt Menschen, die ihren Wunsch nach einer anderen Identität im Rollenspiel ausleben und sich aus diesem Grund in aufwändige Kostüme kleiden.

Identität wird aber immer auch mit geprägt durch den Blick, den Andere auf uns haben. So konfrontiert Naneci Yurdagül den Besucher mit rassistischen Vorurteilen, die in gängigen Türkenwitzen ihren Ausdruck finden, während Harun Farocki in seinem Film dem Bild von Gastarbeiten und Ausländern in deutschen Medien und den Piktogrammen der Bürokratie nachgeht. Anna Witt konfrontiert Fremd-Beschreibung und Selbstbild miteinander, indem sie die Sprache ethnologischer Forschung dem Rap gegenüberstellt. Und Nasan Tur setzt sich in seiner Arbeit mit den Reaktionen von Menschen auf einen Mann auseinander, der einen Schnurrbart trägt und dadurch eine diskriminierende Zuordnung erfährt.

Natürlich spielt bei der Frage nach der eigenen Identität auch Nationalität eine Rolle. Timea Anita Oravecz‘ gestickte Arbeiten aus Stoff lassen die Bedeutung nationaler Identität fragil erscheinen und schaffen zugleich ein Bild für die Behinderungen beim Reisen durch Kontrollen und Bürokratie. Selma Alaçam drückt ihrem Gesicht so lange den deutschen Stempel, bis es nahezu schwarz geworden ist. Lässt nationale Prägung unsere Individualität verschwinden?

Wir definieren und behaupten Identität heute immer häufiger auch im Internet. James Bridle macht sichtbar, mit welchen realen Ländern unsere virtuelle Identität zu tun hat, wenn wir uns durch das vermeintlich transnationale Internet bewegen. Und vor allem gelangen wir mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Lebenswirklichkeit und dem Aufkommen künstlicher Intelligenz an einen Punkt, den Aram Bartholl anschaulich macht, wie nämlich man sich gegenüber einer Maschine überhaupt als Mensch ausweist, was also unsere Identität von einem Computer unterscheidet.

So betrachtet die Gruppenausstellung im Kallmann-Museum menschliche Identitäten aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Der Titel bezieht sich dabei auf das Gemacht-Sein von Identität, die eben nur zum kleinsten Teil von vornherein und unverrückbar gegeben ist. Zugleich spielt er auf das geflügelte Wort vom „gemachten Mann“ an, der einen festen Platz in der Gesellschaft gefunden hat, nach gängigen Normvorstellungen erfolgreich ist und dessen Identität, zumindest in der Fremdwahrnehmung, darüber maßgeblich mitbestimmt wird.

Mit Arbeiten von Selma Alaçam, Aram Bartholl, Martin Brand, James Bridle, Harun Farocki, Sandra Filic, Iwajla Klinke, Alicja Kwade, Sali Muller, Timea Anita Oravecz, Daniela Risch, Nasan Tur, Anna Witt, Veronika Witte und Naneci Yurdagül.

 

Quelle: Pressetext Kallmann-Museum Ismaning

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