Als das Auto noch eine Göttin war

Kunststation Kleinsassen | bis zum 25.11.2018

Stefan Rohrer, Rote Schwalbe, 2013

von Dr. Milan Chlumsky //

Zwei Ausstellungen in der Kunststation Kleinsassen

Es gibt spannende Städte in der Welt und in Deutschland, denen es durch eine ausgefeilte Verkehrsplanung gelingt, die Geschwindigkeit von Lastwagen, Autos und anderen Vehikeln derart zu reduzieren, dass sie von Equipagen des 18. Jahrhunderts mühelos überholt würden. In manchen Städten ist man noch radikaler: in Ermangelung fundierter Kenntnisse wimmelt es dort von Verboten, bis der Stillstand perfekt ist. Der 1968 in Göppingen geborene Künstler Stefan Rohrer dagegen scheut keine Begriffe wie Rausch der Geschwindigkeit, Freude an Mobilität, an hyperentwickelter Technik und skurrilen Einfällen in bester Tradition amerikanischer Bastlergenies. Er kann sich gut vorstellen, dass der Rahmen eines Motorrollers eine Spirale nachahmen kann und mit dem Lenker gen Decke in eine Skulptur mutieren muss.

Der gelernte Steinmetz und spätere Kunststudent an der Burg Giebichenstein in Halle und Stuttgart hat natürlich nicht vergessen, wie Autos mit dem Stern und ohne Katalysator gerochen haben, wenn sie Feuer aus ihren 8-Zylinder-Motoren spuckten und welche Bedeutung einem Auspuff zukam, wollte man den passenden Sound erzeugen. Da es aber Rohrer darauf angelegt hat, dass bestimmte Teile eines Vehikels wichtiger sind als andere (außerdem sehen sie manchmal schöner aus), hat er kein Problem damit, dieses bis auf das letzte Schräublein zu zerlegen, um daraus einen mit Blumen versehenen VW zu konstruieren.

Den Reiz seiner oft gewagten Konstruktionen macht aus, dass jedes wie auch immer entfremdete Gefährt mit absoluter Perfektion verformt ist. Die oft poppigen Lackfarben der Oberfläche verleihen ihnen einen unverwechselbaren Charakter. Kein Wunder, dass er den Wettbewerb für den Kreisverkehr in seiner Geburtsstadt gewann, glaubte man damals doch, dass es machbar ist, mit Innovation auch in der Stadt das Verkehrsproblem zu lösen. Indem Stefan Rohrer vielen seiner Vehikeln Immobilität verordnet, ist er einer der hellsichtigsten Stadtplaner in punkto Mobilität.

Ob es ein Lincoln Continental, Ford Mustang oder Cadillac Coupe de Ville war, die „roaring Sixties“ hängten gerne hier ein paar zusätzliche Scheinwerfer, dort ein paar zusätzliche Kilo an Chromteilen daran. Ohnehin war es egal, ob man 17 oder 27 Liter Benzin verbrauchte bei Preisen unter 25 Pfennig für den Liter. Den Schönen des Film-Bussiness und den Reichen war ein Lincoln Continental gerade genug. Es gab die schnittigen (Ford Mustang), die eleganten (Chevrolet Impalas mit ihren 6 Rücklichtern) und manchmal auch solche Autos, die eher an Weihnachtsbeleuchtung denken ließen. Die Geschwindigkeit war für die einen alles („Rennwagen sind schöner als die Nike von Samothrake“), die anderen liebten es zu „cruisen“, wenn sie zuvor elektrisch ihr Dach im Kofferraum verstaut hatten. 23 Fotografen begleiten mit etwa 60 Fotografien die Ausstellung von Stefan Rohrer. Ihr Thema ist das Automobil – meist aus jener Zeit, als man ein Auto noch Déesse (Göttin) nennen durfte.

Stefan Rohrer – Fast and Furious
Drive Drove Driven – Cars in Contemporary Photography
beide 2.9. – 25.11.2018
Kunststation Kleinsassen
An der Milseburg 2
D-36145 Hofbieber-Kleinsassen
Tel.: +49-6657-8002
Di – So 13 – 17 Uhr
Eintritt: 3 €, erm. 1,50 €
www.kleinsassen.de

Erstveröffentlichung: kunst:art 63
Text: Dr. Milan Chlumsky | Bild: Kunststation Kleinsassen