Poetische Analogien

2.2. – 19.5.2019 | Museum im Kleihues-Bau

Nicole Bianchet, La Sorcière recharchée, Make Your Wish!, 2017 (Foto Lea Gryze, Courtesy: Galerie Michael Haas, Berlin und Nicole Bianchet)

Stellen Sie sich vor, Peter Pan und Alice im Wunderland hätten Nachwuchs. Heraus käme die Künstlerin mit dem französisch anmutenden Namen Nicole Bianchet, die 1975 in Los Angeles geboren wurde und heute in ihrer Wahlheimat, den Niederlanden, lebt. Unter dem Ausstellungstitel „Neverland“ werden ab Anfang Februar bis Mitte Mai großformatige Arbeiten der Künstlerin zu sehen sein. In der von Barrie literarisch geschaffenen fiktionalen Inselwelt Nimmerland, in der Peter Pan umringt von Elfen, Feen, Piraten, Indianern und Meerjungfrauen seinen Zauber verbreitet, beherrschen Abenteuer und Entdeckerlust sowie das ewige Kindliche das Geschehen. Glaube und Wünsche sind hier das oberste Gebot, nicht Fleiß und Realismus.

Bianchet erschafft mit ihrem Bilder-Kosmos eine ähnlich magische Welt, in der fantastische Wesen und imaginäre Landschaften aufeinandertreffen. Nahezu skulptural bauen sich die Figuren und Bildräume Stück für Stück aus den Farbschichten und abgekratzten Spuren auf. Dabei kreiert Bianchet keine kleinen Szenerien, sondern großformatige Werke wie das 330 cm lange „Bär im Bauch” von 2016 oder die sogar 366 cm lange Arbeit auf Holz „Scatcherland” von 2010. Die Werktitel vergibt die Künstlerin im Übrigen selbst und sie sind als lyrische, bisweilen humoristische Teile des Kunstwerks zu verstehen. Eine der wenigen Skulpturen der Künstlerin, „La Sorcière Recarchée, Make your wish” von 2017 lädt das Publikum zur aktiven Auseinandersetzung mit ihrer Kunst ein. Die bemalte Tonfigur – ein Hybrid aus Medusa, Waldfee und Elfe – fordert auf und funktioniert dabei wie ein Wunschbrunnen, mit einem Fünkchen Fantasie und dem Glauben daran, dass Utopisches wahr werden kann. Vornehmlich scheint es nämlich in Bianchets Arbeiten darum zu gehen: Um den Glauben – den Glauben und vor allem die Vorstellung von einer anderen, vielleicht farbenfrohen und weniger beschwerlichen Welt, in der es funktionieren kann, dass der sprichwörtliche Wunsch der Vater des Gedanken ist. Dabei ist Bianchets ganz eigenes Universum aber keineswegs ein völlig abgeschiedener Lebensraum, sondern vielmehr eine Parallelwelt, die Bezug zur tatsächlichen Realität aufnimmt, indem sie zahlreiche Reminiszenzen in Bianchets Arbeiten zeigt: Nicht nur das Nimmerland mit all seinen Gestalten kann man ausmachen, sondern auch Klassiker der Kunstgeschichte, die Bianchet mit humoristischen Titeln wie „Greatest Hits” versieht. Man trifft eine Anspielung auf Caravaggios Medusa („Greatest Hits / Bake the fake Nr. 2, 2009”) oder Goyas Ungetüme („Greatest Hits / Bake the fake Nr. 5“).

Surreale Farbgebungen aber – der Himmel erscheint mal in Grün, die Sonne mal in Rot – nehmen das ernsthafte Realitätsmoment wieder zurück. Der am Bildträger sichtbare Prozess des Abarbeitens durch Schlitzen und Kratzen führt den Betrachter zudem nahezu gewaltsam zurück in diese Sphären. Die Mischung aus Kindlichkeit und Imagination sowie Melancholie und Destruktion erzeugt das überaus eindrucksvolle Spannungsfeld in Bianchets Kosmos.

Paula Wunderlich ist Kunsthistorikerin und als freie Autorin im Rheinland tätig.

Nicole Bianchet. Neverland
2.2. – 19.5.2019
Museum im Kleihues-Bau
Stuttgarter Str. 93
D-70806 Kornwestheim
Tel.: +49-7154-2027401
Fr – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 5,50 €, erm. 2,50 €
www.kornwestheim.de

 

Autor: Paula Wunderlich, Bild: Museum im Kleihues-Bau
Erstveröffentlichung in kunst:art 65