Diesen Kuss der ganzen Welt

2.9.2018 – 25.8.2019 | Kunstmuseum Thurgau

Helen Dahm, ohne Titel, o.J.

Ein wenig schelmisch mutet der Blick von Helen Dahm beim Betrachten des Fotos an. Ganz so, als ließe sich darin ihr Wesen erahnen: Mut zu haben und munteren Blickes weiterzugehen, getreu ihrem Motto „Ich fange jeden Tag an, als wäre es der erste und zugleich der letzte“. Und sie hatte viele Tage, diese bemerkenswerte und kunsthistorisch immer noch nicht gänzlich wertgeschätzte Künstlerin. Dies ändert das Kunstmuseum Thurgau in Kooperation mit dem Helen Dahm Museum in Oetwil und der von Stefanie Hoch kuratierten Ausstellung unter dem Titel Helen Dahm – Ein Kuss der ganzen Welt.

Helen Dahm wurde 1878 im Kanton Thurgau geboren und starb 90 Jahre und drei Tage später 1968 im Kanton Zürich. Doch war sie nicht in der Schweiz geblieben, sondern lebte auch in München und einem Frauen-Ashram in Indien wohl jeden Tag getreu ihrem Motto. Sie wird primär der Schweizer Moderne zugerechnet und überrascht dabei mit unvorhersehbaren künstlerischen Entwicklungen. Die Ausstellung in Thurgau präsentiert 170 Werke, darunter auch solche, die erstmals ausgestellt werden. Und obwohl sich die Künstlerin durchaus vom jeweiligen Zeitgeist inspirieren ließ, so ist die Schau anhand verschiedener Themenfelder konzipiert.

Das breite Spektrum in der Wahl des Materials, Motivs und Ausdrucks in den Werken ist wohl ihrer Person geschuldet, denn Dahm war Zeit ihres Lebens stets individualistisch eingestellt. Durch ein Stipendium konnte Helen Dahm 1906 aus Zürich fortziehen und gelangte in die damalige Kunstmetropole München. Die Begegnungen mit Gabriele Münter, Wassiliy Kandinsky oder Franz Marc sowie andere Mitglieder des Blauen Reiters inspirierten die Künstlerin nachhaltig. Die Münchener Jahre bis 1913 sowie ihre Rückkehr nach Zürich prägten Dahm sehr. Dennoch zog es sie mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin, der Berliner Künstlerin Else Strantz, in die ländliche Umgebung nach Oetwil am See, im Kanton Zürich. Auch weil es der Zeit entsprach, Inspiration im Ländlichen zu finden.

Allein bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Künstlerin ihren Stil mehrmals verändert. Anfänglich machte sie noch durch die Spätromantik geprägte Druckgrafiken, dann wendete sie sich über Porträtmalerei hin der modernen Avantgarde in München zu. Um Geld zu verdienen widmete sie sich auch kunstgewerblichen Arbeiten und noch vom Jugendstil inspirierten Holz- und Linoldrucken. Ab Mitte der 1920er Jahre fertigte sie im Stil des Expressionismus große Ölgemälde. Zunehmend änderte sich ihr ideologischer Blick hin auf die Erneuerung von religiöser Malerei. Ihre Erfahrungen aus ihrem einjährigen Indien-Aufenthalt von 1938 setzte Dahm mit Hilfe der aus ihrer Münchner Zeit stammenden Kenntnisse zur Hinterglasmalerei sowie der Abklatsch-Technik um. Im Verlauf der 1950er Jahre entsagte sie vollends der gegenständlichen Malerei. 1954 erhält Dahm als erste Künstlerin den Kunspreis der Stadt Zürich. Und noch mit 80 Jahren setzte sie sich mit neuen Materialexperimenten wie auch dem Action Painting ein furioses künstlerisches Feuerwerk als persönlichen Höhepunkt. Die Entwicklung dieser einnehmenden Künstlerpersönlichkeit, deren Schaffen beinahe ein Jahrhundert andauerte, unter nicht minder verschiedenen Aspekten zu betrachten, dies gelingt dem Kunstmuseum in Thurgau einprägsam.

Helen Dahm. Ein Kuss der ganzen Welt
2.9.2018 – 25.8.2019
Kunstmuseum Thurgau
Kartause Ittingen
CH-8532 Warth
Tel.: +41-58-3451060
bis zum 30.9. Mo – So 11 – 18 Uhr
danach Mo – Fr 14 – 17 Uhr, Sa + So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 10 CHF, erm. 7 CHF
www.kunstmuseum.tg.ch

Text: Greta Sonnenschein
Bild: Kunstmuseum Thurgau
Erstveröffentlichung in kunst:art 63