Eine Frau geht ihren Weg

19.5.2019 – 8.3.2020 | Kunstmuseum Thurgau

Germaine Winterberg, Videostill, 2017

Es gibt viel zu erzählen bei einem Lebensalter von dreiundachtzig Jahren. Diese stattliche Zahl hat Germaine Winterberg reich gefüllt. Dabei wirkt sie weiterhin unermüdlich und ihr Elan sprüht aus ihr heraus. Was macht es aus, dieser Dame eine Ausstellung, gar mit dem besonderen Titel „L’univers de Germaine“ im Kunstmuseum Thurgau, zu widmen? Den Videokünstlerinnen Muda Mathis und Sus Zwick sowie dem Dokumentarfilmer Hipp Mathis gelingt es, diese vielseitige Biografie als eine besondere Art der oral history kunstvoll und spannend in Bilder zu fassen. Denn das bemerkenswerte ist die Lebensreise dieser Frau, von Anbeginn bis heute.

Gänzlich unangepasst unternimmt Germaine Winterberg, 1936 in Basel geboren, bereits in den Nachkriegsjahren, den 1950er und den 1960er Jahren Reisen nach Südeuropa oder in den Maghreb. Angetrieben ist sie vor allem von der Suche nach Spiritualität. Dies liegt bereits in ihrer frühesten Kindheit begründet. In jungen Jahren sehr katholisch aufgewachsen, sucht sie sukzessive ihren Glauben darin, sich mit dem Leben und was es alles beinhaltet, auseinanderzusetzen. Das Künstlertrio inszeniert ihre Geschichte in der Art eines klassischen Theaterstückes. Es gibt einen Prolog, einen Hauptteil und den Epilog. Alles ganz nahe an und mit Germaine. Genau das macht es so besonders – ihre Authentizität.

Germaine Winterberg ist eine Dame, die in ihren Erzählungen wertschätzend und einladend von ihren vielen Erlebnissen berichtet. Sie lebt authentisch, seit jeher. Doch ist Germaine auch geerdet. Mit ihrem Mann Sigi, mit dem sie sechzig Jahre zusammen lebte, hat sie zwei Söhne. Zwischenzeitlich unterrichtete sie als Textilassistentin im Völkerkundemuseum und war ebenfalls in Basel am Lehrerseminar für außereuropäische Textilkunst beauftragt. Die Kompetenzen für Textilien und Webkunst erwarb Germaine bei ihren Besuchen in Textilwerkstätten in Neu-Delhi oder bei den Berber-Frauen in Nordwestafrika. Dieses Wissen war ihr nicht nur für den wissenschaftlichen Arbeitsweg von Nutzen, sondern auch für ihre Boutique, die sie mit ihrem Mann in den 1970er eröffnete, als er seine Arbeit verlor. Von anderen lernen und andere partizipieren lassen, das entsprach ihrer Herangehensweise beim Welterkunden. Was sie zu einer Art Selfmadewoman bei ethnologischen Fragen macht.

Auf ihren Reisen war sie meist alleine unterwegs. Im Laufe der Jahrzehnte eroberte sie immer mehr die Welt und fand in Indien ein Reiseziel, das sie dann öfter besuchte. Sie berichtet warmherzig, differenziert und wertschätzend von ihren Erlebnissen. Auch wenn es die ein oder andere gar fragwürdige Begegnung gab. Dies wird im sehr kurzweilig arrangierten Zusammenschnitt von 19 Stunden Filmmaterial als Hauptteil präsentiert. Denn es ist die Abwechslung des Erlebten, die ihren Erzählungen und dem Konzept innewohnt. So bleiben mit dem Kunstgriff der Überlappung auch fünf Stunden mit 30 Geschichten kurzweilig, besonders, wenn diesen in bequemen Sesseln genüsslich gelauscht werden kann. Selbst der Epilog, in dem von der tödlichen Demenzerkrankung ihres Mannes gesprochen wird, ist nichts, was es nur gälte abzuarbeiten. Auch das ist Teil ihres Lebens, auch wenn nun ein großer Teil fehlt.

L’ univers de Germaine. Muda Mathis, Sus Zwick, Hipp Mathis.
19.5.2019 – 8.3.2020
Kunstmuseum Thurgau
Kartause Ittingen
CH-8532 Warth
Tel.: +41-58-3451060
Täglich 11 – 18 Uhr
Eintritt: 10 CHF, erm. 7 CHF
www.kunstmuseum.tg.ch

Text: Greta Sonnenschein
Bild: Kunstmuseum Thurgau
Erstveröffentlichung in kunst:art 67