Ein Renaissance-Genie?

20.9.2019 – 6.1.2020 | Albertina

Am Anfang dieses Artikels zur kommenden Jahrhundertausstellung der Wiener Albertina soll eine Anekdote stehen: Als vor Jahrzehnten der berühmte Wiener Kunsthistoriker Otto Demus ein zweisemestriges Kolleg über die deutsche Malerei des Spätmittelalters hielt, zeigte er in der letzten Vorlesung das lockige Porträt Albrecht Dürers und sagte: „Und dann kam der, vor dessen Auge das alles nicht standhielt: Albrecht Dürer.“

In der Tat: Nicht nur, dass Dürer an der Schwelle der Renaissancemalerei in deutschen Landen stand, nicht nur, dass er manche Elemente der spätmittelalterlichen Malerei beibehielt – immerhin hat das „Allerheiligenbild“ im Himmel noch Goldgrund –, sondern auch, dass er allein schon durch die fast fotografische Darstellung der Natur weit über alle seine Malerkollegen herausragte, macht den Künstler Albrecht Dürer so einmalig. Wer hat vor Rubens je die Haare eines Pelzes so genau, so lebensecht gemalt wie er! Des Hasen Haare verleiten den Betrachter fast dazu, über sein Fell zu streichen, die Gräser des Großen Rasenstücks zu pflücken und die noch nicht zur Pusteblume gereifte Frucht des Löwenzahns abzubrechen.

Die letzte große Dürerausstellung an sozusagen geheiligter Stelle, der Albertina, fand 2003 statt und zog fast eine halbe Million Besucher an. Was wunder, dass sich die Albertina aufs Neue entschloss, aus ihrem mehr als reichen Bestand von Dürers Œuvre und einer großen Anzahl an Leihgaben aus der ganzen Welt dieses Genie mit all seinen Facetten zu präsentieren. In einem kleinen aufklappbaren Folder zur Ausstellung wird die Vielfalt dessen dargelegt, was einen erwartet. Er macht Geschmack darauf, auch bekannteste Werke wie die „Betenden Hände“, die „Apokalypse“, den „Feldhasen“ einmal wieder zu sehen und sich ebenfalls an jenen Werken zu erfreuen, die als Leihgaben nach Wien gekommen sind. So kamen aus den Uffizien in Florenz die Anbetung der Könige, ein in bestimmten Zügen donauschulisch anmutendes Prachtexemplar Dürerscher Malerei, das berühmte Hieronymusporträt aus dem Madrider Prado – präsentiert mit jenen in der Albertina befindlichen grafischen Studien dazu, das Aktporträt Dürers aus Weimar, wobei bis heute nicht geklärt ist, wie dies Dürer bewältigt hat, gab es doch damals noch keine Spiegel in Ganzkörpergröße.

Und dann natürlich die Glanzstücke der Albertina – eigene Grafiken, die nicht immer in der ständigen Ausstellung der Grafischen Sammlung zu sehen sind. Immerhin umfasst das grafische Werk Dürers an die tausend Zeichnungen. Hier sei Dr. Klaus Albrecht Schröder, der Generaldirektor der Albertina, zitiert: „Dass gerade sein zeichnerisches Werk in derartiger Opulenz auf uns gekommen ist und mit dem fulminanten Auftakt des Selbstbildnisses als Dreizehnjähriger bis zu letzten Gedankenskizzen ein lückenloses Bild seiner künstlerischen Genese und auch seiner Reflexion über die Kunst bietet, ist seiner beispiellosen Sorge um den eigenen Werkstattfundus zu verdanken.“

Dr. Christof Metzger, der Kurator dieser Ausstellung und international geschätze Kenner der deutschen Kunst des 16. Jahrhunderts, antwortete spontan auf die Frage von Klaus Albrecht Schröder, ob man Dürer nicht erneut zum Thema einer großen Ausstellung machen sollte, „Man kann nicht nur, man muss!“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Zur Ausstellung ist ein exzellenter Katalog mit Aufsätzen kunsthistorischer Koryphäen erschienen. Hingehen und Anschauen!

 

Albrecht Dürer
20.9.2019 – 6.1.2020
Albertina
Albertinaplatz 1
A-1010 Wien
Tel.: +43-1-534830
Täglich 10 – 18 Uhr, Mi + Fr 10 – 21 Uhr
Eintritt: 16 €, erm. 1 – 11 €
www.albertina.at

Text: Dr. Michael Nießen
Bild: Albertina
Erstveröffentlichung in kunst:art 69