Natur neu denken

13.9.2020 – 24.1.2021 | Museum Sinclair-Haus

Wider die Natur; der Natur ihren Lauf lassen; hinaus in die Natur – doch wo ist „die Natur“, von der wir so selbstverständlich reden? Nicht selten grenzen wir uns zugleich von ihr ab, sehen sie als das „Andere“, das ohne Zutun des Menschen lebt, oder auch stirbt. Als seien Flora und Fauna grundsätzlich getrennt von dem menschlichen Kulturraum. Ein Leichtes, aus dieser künstlichen Distanz auf die Natur zu blicken, sehnsuchtsvoll zu idealisieren oder auch mit Sicherheitsabstand auszubeuten. Mittlerweile rücken jedoch Klimawandel und rapide sinkende Biodiversität unaufhaltsam in unser Gesichtsfeld, drängen auf, dass Aspekte wie unsere Ernährung, Kleidung und Fortbewegung unmittelbar Spuren auf der Erde hinterlassen. Bereits 2000 schlugen der Meteorologe Paul Crutzen und der Biologe Eugene Stoermer den Begriff „Anthropozän“ für eine neue, vom menschlichen Einfluss auf die globale Umwelt geprägte Epoche vor.

Innerhalb dieses Spannungsfeldes stellt der Titel der Gruppenausstellung „Was ist Natur?“ im Museum Sinclair-Haus eine Frage, deren Antwort bewusst offen bleibt. Es werden keine Konzepte oder gar Definitionen angeboten, vielmehr sollen neue Sichtweisen auf die Natur der Gegenwart in Kunstwerken sowie Objekten aus Wissenschaften und Kulturgeschichte interdisziplinär erkundet werden.

Zu diesem Zweck öffnen die präsentierten Werke einen weiten zeitlichen Bogen: Einen Blick auf die Kleinstlebewesen, die unseren Planeten seit Millionen von Jahren bis heute entscheidend prägen, wirft ein ganzes Kapitel der Ausstellung. Darin macht die norwegische Künstlerin Sissel Tolaas mittels einer Installation sinnlich erfahrbar, was sich im Erdboden auf winzigster molekularer Ebene abspielt: die Kommunikation durch Duftstoffe zwischen Bakterien und Insekten.

Eine gegenwärtige Reflexion von Mensch und Natur bieten sowohl die US-amerikanische Künstlerin Andrea Bowers in ihrem Film „My Name Means Future“ (2020), der über die Aktivistin Tokata Iron Eyes und ihren Alltag als Indigene in den USA berichtet, als auch die Untersuchung des Wissenschaftshistorikers Nils Güttler zum Frankfurter Flughafen als Lebensraum, als eine menschlich intensiv geprägte Naturkultur-Landschaft.

Die Installation „Mitigation of Shock (London 2050)“ des Kollektivs Superflux indes scheint in eine Utopie des Jahres 2050 zu blicken, auf dem Tisch ein Buch über Haustiere als Proteinquelle, im Hintergrund Gemüse in Nährlösung unter künstlichem Licht, doch zugleich verdeutlicht die strikte Basierung jenes Szenarios auf wissenschaftlichen Prognosen die Realitätsnähe einer solch massiven Prägung unseres Alltags durch den Klimawandel.

Weitere Künstler der Schau sind Bruce Conner, atelier freilinger & feldmann, Andy Goldsworthy, Sarah Illenberger, Bertram Kober, François-Joseph Lapointe, Klaus Modick, objects & greens, Roman Schramm und Katharina Sieverding. Anstelle von Antworten rücken sie essentielle Fragen in den Fokus, die Suche nach neuen Naturverständnissen, die aus verschiedenen Perspektiven jene engen Verquickungen von Pflanzen, Tieren, Kultur, Technik, Menschen und Mikroben eindringlich herausarbeiten.

 

Was ist Natur?
13.9.2020 – 24.1.2021
Museum Sinclair-Haus
Löwengasse 15
D-61348 Bad Homburg v. d. Höhe
Tel.: +49-6172-404128
Di – Fr 14 – 19 Uhr, Sa + So 13 – 18 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 4 €
www.museumsinclairhaus.de

 

Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Museum Sinclair-Haus
Erstveröffentlichung in kunst:art 75