…oder ist es schon zu spät?

29.8. – 22.11.2020 | Bündner Kunstmuseum

Vier Künstler blicken aus der Zukunft zurück. Julian Rosefeldt, Julius von Bismarck, Yuri Ancarani und die Gruppe SUPERFLEX formulieren in ihren Videoarbeiten dystopische Visionen und einen dramatischen Vorwurf an unsere Gegenwart. Unser Vermächtnis besteht vor allem in der Zerstörung der Umwelt. „Als wir verschwanden“ hat nicht nur im Titel Anklänge an die Bewegung „Extinction Rebellion“.

Dabei ist der Name der Gruppenschau von vier Positionen sogar noch zu positiv. Julian Rosefeldt zeigt uns eine Welt, in der wir Heutigen bereits verschwunden sind. Das Video „In the Land of Drought“ verfolgt die Arbeit zukünftiger Archäologen in Schutzanzügen, die eine Ruinenlandschaft untersuchen. Gedreht wurden die ersten Szenen dieser Videoarbeit in verlassenen Filmkulissen in der marokkanischen Wüste, die eine besonders gespenstische Stimmung vermitteln. Umso deutlicher wird der Schritt, in dem das Geschehen an den heutigen Betrachter herangerückt wird, wenn der Drehort sich ins tatsächliche Nordrhein-Westfalen verlagert. Hier geht es nicht um eine fantastische Zukunftsvision, sondern um die von uns geschaffene Welt. Die vom Braunkohle-Tagebau zurückgelassene Landschaft sieht ebenso wüst aus wie die zuvor gesehenen Regionen, Stahlgerippe ehemaliger Industrieanlagen etablieren dieselbe geisterhafte Stimmung wie die verlassenen Kulissen. Wem nutzt eine Wirtschaft wie diese? Eine Antwort deutet „the Roots of Violence – San Giorgio“, dritter Teil einer Trilogie von Yuri Ancarani, an. Diese Arbeit gibt Einblicke in die Innenräume einer Finanzindustrie, die nicht nach einem sinnvollen Maß fragt, sondern eine nie endende Akkumulation von Vermögen verfolgt und das eifersüchtig und ängstlich bewacht. Die Dokumente ihres Handelns vernichtet diese Wirtschaft nach einem strengen Protokoll. Die Folgen dieses sinnlos scheinenden Sammelns von Geld ohne erkennbares Ziel betreffen Mensch und Natur.

Die Kopenhagener Künstlergruppe SUPERFLEX zeigt in „Kwassa Kwassa“, wie auf der Insel Anjouan, gelegen zwischen Mosambik und Madagaskar, ein Fischerboot entsteht. Siebzig Kilometer entfernt liegt Mayotte. Als französisches Territorium ist diese Insel Teil der EU und Ziel von Menschen, die sich angesichts ihrer Lebensbedingungen in wirtschaftlich darniederliegenden Gebieten auf die gefährliche Überfahrt mit hierfür viel zu kleinen Fischerbooten, den Kwassa Kwassa, machen. Und wo die Aussichtslosigkeit Menschen nicht auf die See hinaus treibt, da schlägt die See in einem Richtung Kollaps belasteten Klimasystem nach dem Land. „Irma to come in Earnest“ nennt Julius von Bismarck seine Betrachtung des Hurricanes Irma von 2017 und der Zerstörung und Überflutungen, die dieser Sturm angerichtet hat.
Es ist drastische Pädagogik, die „Als wir verschwanden“ anwendet. Aber nachdem alle Appelle, mit denen die Wissenschaft spätestens seit den 1990er-Jahren die Vernunft ansprechen wollte, von kurzfristigen Trieben wie Gier und Bequemlichkeit verdrängt wurden, ist es wohl höchste Zeit – oder schon zu spät.

 

 

Als wir verschwanden … Vier Videoarbeiten​
29.8. – 22.11.2020
Bündner Kunstmuseum
Bahnhofstr. 35
CH-7000 Chur
Tel.: +41-81-2572870
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 15 CHF, erm. 12 CHF
www.buendner-kunstmuseum.ch

Text: Jan Bykowski
Bild: Bündner Kunstmuseum
Erstveröffentlichung in kunst:art 75