Auf welchem Grund?

10.7. – 13.12.2020 | Gropius Bau

Welche Bedeutung hat Land ökologisch, sozial und politisch für den Menschen? Wie viel kann man dem als Ressource verstandenen Boden zumuten? Wieweit definiert das Land den Menschen darauf mit? Solche Fragen stellte sich Otobong Nkanga, als sie die Werke entwarf, die im Gropiusbau zu sehen sind. Die Arbeit daran begann schon vor geraumer Zeit, auch weil vielfach intensive Recherche erforderlich war. Entstanden ist eine Zusammenstellung von komplexen Betrachtungen des Themenkreises. Zusätzlich relevant wird die Frage nach Land durch zunehmende Konflikte um dieses begrenzt zur Verfügung stehende Gut. Mehr als hinreichender Anlass für eine Diskussion des Themas besteht also.

Doch dann hat eine Pandemie weltweit bisher als sicher angenommene Lebens- und Arbeitsbedingungen erschüttert. Vielen wurde der sprichwörtliche Boden unter den Füßen weggezogen, besonders in Form wirtschaftlicher Gegebenheiten. Diese Erfahrung drängt sich im Rundgang durch die Ausstellung immer wieder ins Bewusstsein und es erstaunt, wie zutreffend auch sie verhandelt werden. Otobong Nkangas Thema und der Titel „There’s No Such Thing As Solid Ground“ erweist sich umso stärker als intelligent gewählt, je deutlicher wird, dass es um mehr als eine sentimentale Betrachtung von Landschaft geht.

Die Arbeiten dieser Werkschau bieten erfrischend offene Ansätze. Schon im ersten Raum stellt sich dem Besucher die Frage, wohin man gehen darf und ob man nicht zu weit ginge, wenn man die Installation „Taste of a Stone“ beträte. Man sollte, denn hierdurch gewinnt die Installation ihre Dynamik, verändert sich mit jedem Besucher und nimmt seine Spuren auf. Zudem erweist sich aus der Nähe, dass in den Kieseln Pflanzen leben. Ohne Boden und Wasser ernähren sie sich aus der umgebenden Luft. Unverwurzelt gedeihen sie an jedem Ort. Sind sie die idealen Bewohner einer globalisierten Welt, oder bietet ein fester Standort auf „Solid Ground“ auch Vorteile, etwa Orientierung und Sicherheit? Die für die Schau konzipierte Soundinstallation „Wetin You Go Do?“ diskutiert dies weiter, angeregt von der Verunsicherung, die das Zusammenbrechen politischer Systeme hinterlässt. Eine Vielzahl von Rollen, die Nkanga jeweils selbst eingesprochen hat, erfüllt einen dämmrigen Raum von allen Seiten her mit Aussagen, Meinungen und Stimmungen. Mal harmonisch, mal verwirrend durcheinander prasseln diese Stimmen auf den Zuhörer ein. Daraus ergibt sich nicht immer Verständigung, auch Konflikte werden hörbar. Wer sich dem Gedanken hingibt, dass hier Länder auf anderen Kontinenten gemeint sind, den holt die Skulptur „Solid Maneuvers“ wieder zurück nach Deutschland. Indem ohne Rücksicht auf Land als geologischer Kategorie Bodenschätze geschürft werden, wird ein Berg vernichtet, den Nkanga in Namibia gesehen hat. Wie in einem Modell hat sie die abgebauten Rohstoffe als Schichten wieder zu einem Berg zusammengefügt, der seine Versehrungen aber sichtbar trägt. Ähnlichkeiten mit Braunkohletagebau hierzulande drängen sich auf.

Der Grund und Boden, auf dem unsere Existenz fußt, verändert sich. Konflikte um die
scheinbar unveränderlichen Fundamente, auf denen sich unsere Existenz bewegt, erweisen sich weltweit als unbeständig. Der Umgang mit der Erde und miteinander muss dringend neu verhandelt werden. Der Titel der Ausstellung beweist seine Berechtigung auf mehreren Ebenen.

 

 

Otobong Nkanga. There’s No Such Thing as Solid Ground
10.7. – 13.12.2020
Gropius Bau
Niederkirchnerstr. 7
D-10963 Berlin
Tel.: +49-30-254860
Täglich 10 – 19 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 15 €, erm. 10 €
www.berlinerfestspiele.de/de/gropiusbau

Text: Jan Bykowski
Bild: Gropius Bau
Erstveröffentlichung in kunst:art 75