Mit einer Cola-Dose fing es an

10.10. – 20.12.2020 | kunst galerie fürth

Am 8. November 1895 gelang Conrad Wilhelm Röntgen die Entdeckung der sogenannten X-Strahlen, die später als Röntgenstrahlen in der ganzen Welt unter diesen Namen Verbreitung fanden: eine Bezeichnung, die damals 1896 nicht unumstritten war, denn man hätte lieber Begriffe wie „Kraftstrahlen oder allenfalls Ätherstrahlen“ bevorzugt. Glücklicherweise gelang es ihm, am 22. Dezember 1895 eine sehr scharfe Aufnahme der Hand seiner Frau zu machen, bei der Knochen und der Ehering deutlich sichtbar waren. Seitdem ist die moderne Medizin ohne Röntgenstrahlen undenkbar. Zugleich weiß man, dass nur eine genau berechnete Dosis in entsprechend kurzer Zeit für den menschlicher Körper unschädlich ist.

Der britische Fotograf Nick Veasey bekam 1996 den Auftrag, eine Cola-Dose zu fotografieren – auf eine bis dato ungewöhnliche Weise – mit den Röntgenstrahlen. Nach einigen Versuchen gelang ihm, eine sehr gute Aufnahme zu machen. Sofort war ihm klar, dass dieser Weg für ihn wegweisend ist, zumal: „… mit Mitte zwanzig war ich ein nicht allzu erfolgreicher Fotograf“. Nach dieser Aufnahme änderte sich sein Leben grundlegend. Er begann immer größere Objekte zu fotografieren – Autos, Busse, gar Flugzeuge.

2011 hatte Veasey eine große Ausstellung in einem unweit von Disney Paris liegenden Outlet-Center. Er zeigte eine Serie von 15 Röntgenbildern, die das „Innenleben“ der klassischen, jedoch nicht minder aufwendigen Kleider der Haute Couture „durchleuchteten“: Es ist ein Blick in die filigrane Welt der Fäden, die wie aus dem Nichts eine undurchsichtige – und meist sehr schöne – Hülle bilden. Der Blick in das Innere wird dann in sämtlichen seiner Arbeiten zu modernen Inkunabeln der heutigen Welt gehören – ob das die Boeing 777 ist, wo er an die 500 Röntgenaufnahmen machen musste, die dann in aufwendiger Kleinarbeit am Computer zusammengebaut werden, oder der Blick in das Innenleben eines Mercedes-AMG GT R, den er in Stuttgart aufnahm.

Nick Veasey hat in der Nähe von London einen verlassenen Bunker der britischen Spionagedienste entdeckt und so eingerichtet, dass die Strahlung weder ihn noch seine Assistenten erreichen kann, obgleich für manche Aufnahmen sowohl von oben wie auch von unten fotografiert wird. Daneben ermöglicht die absolute Dunkelheit eine erstaunliche Bildpräzision, und das auch bei sich bewegenden Menschen oder auch einem Skispringer, der in dem Moment fotografiert wird, als er die „künstliche“ Schanze verlässt.

Die meisten dieser Aufnahmen haben trotzdem einen experimentellen Charakter. Der Fotograf muss – aus eigener Erfahrung – die Belichtungszeiten feststellen, er muss den Winkel bestimmen, unter dem fotografiert wird, und er bestimmt auch, aus wie vielen Teilen die endgültige Aufnahme bestehen wird – der Seitenblick bei Automobilen scheint ein Muss, bei Menschen gilt es, wie in der analogen und digitalen Fotografie, den richtigen Moment zu erwischen.

Mit den „inneren Ansichten“ von Nick Veasey erinnert die kunst galerie fürth an die Erfindung Röntgens vor 125 Jahren, der selbstverständlich nie geglaubt hätte, dass seine Strahlen je dazu dienen werden, die knapp 77 Meter lange Boeing 777 samt ihrer Spannweite von etwa 72 Meter zu fotografieren, akribisch zusammenzustellen und dabei das Innenleben zu offenbaren. Einmalig!

 

 

Nick Veasey – Inner Visions
10.10. – 20.12.2020
kunst galerie fürth
Königsplatz 1
D-90762 Fürth
Tel.: +49-911-9741690
Mi – Sa 13 – 18 Uhr, So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 3 €, erm. 1 €
www.fuerth.de/kunstgaleriefuerth

Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: kunst galerie fürth
Erstveröffentlichung in kunst:art 75