Grenzenlose Kunst

10.9.2020 – 21.2.2021 | Museum Brandhorst

In ihrer Kunst gibt es keine Grenzen: Lucy McKenzie, 1977 in Glasgow geboren, kann genauso gut in literarischen Teichen fischen wie sich in die Domäne des Kunsthandwerks begeben und dabei, wie zu Zeiten des Art Nouveau, bei traditionellen Metiers Anleihen tätigen und tief in der Vergangenheit nach Techniken suchen, die sie zu beleben versucht, etwa die Trompe-l’Œil-Technik. Die Künstlerin begab sich an die Brüsseler Ecole Van Der Kelen-Logelain, wo Studenten in der Illusions- und Dekorationsmalerei ausgebildet werden. Hier werden auch die kunsthandwerklichen Techniken des 19. Jahrhunderts vermittelt, die McKenzie ausgiebig in ihren Trompe-l’Œeil-Arbeiten verwendet.

Eine weitere wichtige Quelle ist für sie die Literatur. So orientierte sich McKenzie für eine Arbeit an einer Novelle der schottischen Schriftstellerin Muriel Spark, die das Leben in einem Wohnheim für mittellose junge Frauen beschreibt. Ihr Wohnraum befand sich zwischen Schlafsälen und kleinen Privatzimmern, wobei das großbürgerliche Haus in Kensington in der Nachkriegszeit einen langsamen Abstieg erlebte, bevor die wohlhabenden Familien wegzogen. Die armen Bewohnerinnen konnten nicht immer für die Miete aufkommen. Schließlich blieben viele Zimmer frei, das Haus verkam – auch die Trompe-l’Œil-Illusion eines großen, lichten Raumes hilft da nicht mehr.

Lucy McKenzie sucht darüber hinweg nach historischen Quellen, die fast gänzlich in Vergessenheit geraten sind. Dazu gehören auch ihre Quodlibet-Gemälde (Anm.: wie es beliebt), die auf die Ursprungsidee einer musikalischen Komposition vor allem Wiener Prägung zurückgehen, in der sich verschiedene, meist unzusammenhängende Elemente vereint finden. Übertragen in andere Domänen bedeutet dies, möglichst konsequent die Grenzen zwischen verschiedenen Stilen und Themenbereichen aufzuheben und Neues zu erproben.

Das Museum Brandhorst zeigt diese Grenzaufhebung und die Aneignung von Bildern, Objekten und Themen aus den Bereichen Kunst, Design, Architektur, Literatur, Musik, Film. McKenzies eigenes Werk kennt scheinbar keine Abgrenzungen: Neben Gemälden gehören auch Zeichnungen, Texte, skulpturale Objekte und Videos dazu. Ihre Aktivität beschränkt sich dabei nicht auf die Bildende Kunst allein: Die Mitarbeit an einer ganzen Reihe modischer Kreationen – McKenzie gehört beispielsweise einem Modedesign-Kollektiv an, wo sie eine Hut-Kollektion mit comicartigen Szenen gestaltete –, die Gründung eines Plattenlabels und einer Bar gehören wie selbstverständlich auch dazu.

In der Ausstellung im Museum Brandhorst sind etwa 100 Arbeiten, die seit 1997 entstanden, zu sehen. Sie umfasst wichtige Werkgruppen, die sich auf Popmusik, die Ära des Kalten Krieges beziehen und mit der Tradition der osteuropäischen Wandmalerei oder auch der Typografie auseinandersetzen, und reicht bis hin zu McKenzies Mitarbeit in einem Forschungsbüro (Atelier E. B.), wo neue Symbiosen zwischen den Kunstgattungen Malerei, Skulptur und angewandte Kunst erprobt werden, etwa bei Möbeln.

Lucy McKenzie. Prime Suspect
10.9.2020 – 21.2.2021
Museum Brandhorst
Theresienstr. 35A
D-80333 München
Tel.: +49-89-238052286
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 5 €
www.museum-brandhorst.de

Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Museum Brandhorst
Erstveröffentlichung in kunst:art 75