Als in den 1960er Jahren die ersten Beispiele einer hyperrealistischen Kunst in den Ausstellungen auftraten, polarisierten sie. Zeitgleich zu den Fotorealisten in der Malerei erreichten Bildhauer wie John de Andrea und Duane Hanson in ihren figürlichen Darstellungen eine bis dato ungekannte Wirklichkeitstreue. Dazu trug ein ungewohnter Materialeinsatz bei: Der herkömmliche Bronzeguss wurde durch moderne Kunststoffe ersetzt, echte Kleidungsstücke und Accessoires machten die Illusion noch täuschender. Seit damals hat sich die hyperrealistische Bildhauerei als eigene Richtung fest etabliert.
Eine Zwischensumme versucht derzeit das Osthaus Museum in Hagen: ¿Lebensecht? versammelt Beispiele hyperrealistischer Plastik aus fünfzig Jahren. Den Anfang machen die beiden erwähnten US-Amerikaner, zu denen noch George Segal zu zählen wäre. Von den jüngeren hat der Italiener Maurizio Cattelan größere Popularität erlangt wie letzthin auch sein australischer Kollege Ron Mueck. In beider Werk erklärt sich auch das Fragezeichen im Ausstellungstitel: Der Ultrarealismus der Figuren (mit ihren Glasaugen und eingesetztem Echthaar) wird durch krasse Maßstabssprünge ausgehebelt. Von Peter Lands schlafendem Obdachlosen sehen wir nur Kopf und Füße aus Kartons ragen – sein Körper aber scheint sich über hundert Kartons dazwischen zu auszudehnen. Ist das nun Realismus oder Surrealismus? Das künstlerische Potential dieser Richtung ist offenbar noch lange nicht ausgelotet.
¿Lebensecht? 50 Jahre Hyperrealistische Skulptur
23.8.2020 – 31.1.2021
Osthaus Museum Hagen
Museumsplatz 1
D-58095 Hagen
Tel.: +49-2331-2073138
Di – So 12 – 18 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 3,50 €
www.osthausmuseum.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Osthaus Museum Hagen
Erstveröffentlichung in kunst:art 75