Es ist nicht verwunderlich, dass eine zweigeteilte Stadt auch zwei Narrative bezüglich ihrer Geschichte entwickelt. Besonders deutlich wurde dieser Umstand im Jahr 1987, als Berlin sein 750. Stadtjubiläum feierte. Im Osten wie im Westen der Stadt wurden Kriegszerstörungen im Städtebild aufgekehrt und ein neues, die Zukunft vermeintlich vorweg nehmendes kreiert. Das Nikolaiviertel erlebte im Schatten von Plattenbauten eine historisierte Wiederauferstehung. Und auch über die Vergangenheit galt es, Deutungshoheit zu gewinnen. Der Bildhauer Gerhard Thieme gestaltete für das Stadtjubiläum einen Betonfries über den Kampf der Volksmassen um Selbstbestimmung, der erst im Sozialismus ein Ende findet. Dabei erzählt das Terrakottafries am Roten Rathaus, also ganz in der Nähe der Nikolaikirche, eine etwas andere Geschichte. Diese „Steinerne Chronik“ von 36 Reliefs zeigt an der Außenwand des Rathauses schon seit 1879, wie Männer die Stadt Berlin dem Sumpf abringen.
Die Ausstellung „Features“ greift diese Perspektiven auf die Geschichte und die Gegenwart Berlins auf. Das in der Nikolaikirche beheimatete Stadtmuseum Berlin lud zehn in der Hauptstadt lebende Künstler ein, ihre eigene Perspektive in einem großformatigen Bild zu artikulieren. In Patricia Buchers Arbeit spiegelt sich die Vergangenheit anhand des Todesstreifens der Mauer und anhand der Wachttürme wieder. Nationale Identität spiegelt der Venezolaner Sol Calero wiederum mit der Arbeit „El Autobús“. In seiner Heimat sind die Wagen traditionell reich dekoriert. In einem Holzschnitt würdigt wiederum Thomas Klipper die Opfer aus der Hanauer Shisha-Bar und klagt das Ringen um die Deutungshoheit in der Gesellschaft mit dem Slogan „Als wäre da eine Mutter aller Probleme“ an.
Features. 10 Sichten auf Berlin
4.9. – 24.01.2021 (verlängert)
Museum Nikolaikirche
Nikolaikirchplatz
D-10178 Berlin
Tel.: +49-30-24002162
Täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 4 €
www.stadtmuseum.de
Text: Karolina Wrobel
Museum Nikolaikirche
Erstveröffentlichung in kunst:art 75
