Der lange Marsch von Wort zu Wort

10.10.2020 – 10.1.2021 | Städtische Galerie Delmenhorst

Allüberall ist von Migration die Rede – auch in der Kunst. Zentrales Problem ist dabei immer die Frage nach der Identität, nach dem Verhältnis zwischen der bisherigen Identität, die mehr oder weniger aufgegeben werden muss, und einer möglicherweise zu gewinnenden neuen. Bedeutet Integration nun Aufgabe und Verlust oder aber Bereicherung und Zugewinn? Die Städtische Galerie Delmenhorst schaut in ihrem aktuellen Ausstellungsprojekt auf das „Lernen und Lehren von Sprachen in der Kunst“. Denn die Sprache ist stets Vehikel und Schauplatz der erwähnten Vorgänge, sie ist der Schlüssel schlechthin zu neuen Welten. Das gilt bekanntlich schon für jede Urlaubsreise in ein anderssprachiges Land und umso mehr beim kompletten Wechsel des geografischen und kulturellen Lebensmittelpunktes (sei es nun freiwillig oder von den Verhältnissen erzwungen).

Der anschauliche Obertitel der Schau ist einer Künstlerin entliehen, die sich seit Langem mit den Transformationsprozessen zwischen Sprachen befasst: Tine Melzer. „Meeting in Language“ ist der Titel der Dissertation der gebürtigen Schweizerin, die heute in den Niederlanden lebt. Es ging dabei um das Verhältnis zwischen Ludwig Wittgenstein und Gertrude Stein, also um die Transmission zwischen Sprachen, Fachwelten und Kulturkreisen. Aber vom philosophischen Schwergewicht ist es erstaunlicherweise für Tine Melzer nur ein kleiner Schritt zum hochgradig Verqueren: „Taxidermy for Language-Animals. A Book on Stuffed Words“ heißt eine ihrer in Delmenhorst als Anregung wirksamen Publikationen. Ausgestopfte Wörter, ein wundersames Sprachbild, gibt es in der Kunst zuhauf: wortwörtliche oder visuelle oder akustische Transplantationen von einem Lebensraum zum anderen – manchmal gelingen sie quicklebendig und manchmal bleibt es eben beim leichten Mottenkugelaroma des nur ausgestopften und nicht wirklich befriedigenden Scheinlebens.

Neben Tine Melzer und ihren skurrilen Buchobjekten gibt es Arbeiten von knapp dreißig Künstlerinnen und Künstlern. Von denen haben sich nicht wenige den Grenzbereichen zwischen Sprache und Bild und beider tieferer Bedeutung verschrieben: Timm Ulrichs, Via Lewandowsky, Katrin von Maltzan und die Künstlergruppe Gelitin sind nur einige. Arbeiten auf Papier stehen neben Objekten, Installationen und Videos. Immer geht es um Alphabet und Wortschatz – und um die heikle Frage nach der Übersetzung. Denn die Übersetzung ist keinesfalls nur Kleinklein für Philologen, sondern führt direkt zur Frage nach Macht und Deutungshoheit im (inter-)kulturellem Diskurs. „Wie kommunizieren wir in einer globalen Welt? Wer lehrt wem was wie und warum? Wer hat Macht?“ so formulieren es die Ausstellungsmacher. Kritische Ansätze haben ihren Auftritt, ebenso wie die Lust am Spiel und am Rätselhaften. Als schlechterdings unverzichtbares Requisit erweist sich der Humor, für dessen „forcierten Einsatz beim (grenzüberschreitendem) Sprachunterricht“ die Delmenhorster sehr überzeugend plädieren.

 

 

Meeting in Language. Lernen und Lehren von Sprachen in der Kunst
10.10.2020 – 10.1.2021
Städtische Galerie Delmenhorst
Haus Coburg
Fischstr. 30, Ecke Friedrich-Ebert-Allee
D-27749 Delmenhorst
Tel.: +49-4221-14132
Di – So 11 – 17 Uhr, Do 11 – 20 Uhr
Eintritt: 4 €, erm. 3 €
www.staedtische-galerie-delmenhorst.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Städtische Galerie Delmenhorst
Erstveröffentlichung in kunst:art 76

Über Dieter Begemann 300 Artikel
Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!