Regionale 21 – Kunst findet statt

28.11.2020 - 04.01.2021 | Kunsthaus Baselland

Bei Regionale 21 im Kunsthaus Baselland,  werden 17 Künsterler*innen präsentiert: Mitchell Anderson, Philipp Hänger, Eric Hattan, Matthias Liechti, Raphael Loosli & Arnaud Wohlhauser, Céline Manz, Anina Müller, Alexandra Navratil, Jacob Ott, Nina Rieben, Anna Schwehr, Flurina Sokoll, Romain Tièche, Jan van Oordt, Johannes Willi, Olga Zimmelova und grenzübergreifend, Jannik Giger und Florian Thate.

Eine Abfolge von Werktiteln. An ein Gedicht erinnernd, vereinen diese Worte die verschiedenen Arbeiten der Künstler*innen, abseits der Setzungen in der Ausstellung. Die Worte ermöglichen unbekannte Anknüpfungspunkte. Eine Poesie im Raum, die Raum zum Denken gibt: unterschiedliche Sprachen, Stile und Sujets laden dazu ein, Vorgegebenes und Bekanntes zu überdenken und Getrenntes zu verbinden. Die eingeladenen Künstler*innen nutzen bestehende Ressourcen und Strukturen. Bewusst lösen sie jedoch einzelne Elemente heraus, um mittels ihrer jeweils eigenen künstlerischen Strategie neue Zusammenhänge zu erzeugen. Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland stellt 17 Kunstschaffende vor, die in einer präzisen Blickführung auf die unmittelbare Umgebung dringliche Fragen an die aktuellen Gewohnheiten und Zustände stellen. Die dabei entstandenen gedanklichen Zwischenräume werden wöchentlich durch externe Gäste bespielt und dabei durch deren eigene Perspektive erweitert. Eine Art Souvenir aus Texten ermöglicht es den Besucher*innen, sich an Gesehenes zu erinnern und den ein oder anderen aufgegriffenen Gedanken selbst weiterzuführen.

Jacob Ott, B7, 2020, Papier, Draht, Dispersion, 260 x 400 x 6 cm. Ausstellungsansicht / Installation view Kunsthaus Baselland 2020. Foto / Photo: Gina Folly

Bildarchive sind die eigentliche Fundgrube für das künstlerische Schaffen von Alexandra Navratil (*1978) – historisch wie zeitgenössisch. Darunter sind Fotografien aus Mikro- oder Makrobereichen, Wissenschaftliches ebenso wie eigene oder fremde Aufnahmen von leeren Mega-Shoppingmalls oder aber auch Ausschnitte aus Fachzeitschriften für die Kunststoffindustrie. Aus dieser Fülle hat sich die Künstlerin eine grosse Bildersammlung aus Filmen, Videos und Fotografien angelegt, um einem nachzuspüren: wie unsere Wahrnehmung funktioniert, wie sie sich verändert, und welche Technologien uns in unserem Wahrnehmen begleiten respektive beeinflussen.So verführt denn auch ihr Under Saturn (Act 3) mit hochtechnisierten und zugleich vermeintlich gefühlsaufgeladenen Bildern. Die gesammelten und überlagerten Werbebilder – entnommen von Broschüren verschiedener Unternehmen aus der Robotikbranche – erzeugen zusammen mit einer vertrauenerweckenden Stimme eine träumerisch-beängstigende Melange. Erzählt die Stimme nicht von Nahtoderfahrungen? Wo bleibt der Mensch aus Haut und Knochen? Auch das Video Phantom (1) gibt einen Blick in einen menschenleeren Elektronik-Megastore preis. Im Loop wiederholen sich auf den hintereinander gestaffelten Bildschirmen bildstarke Naturphänomene auf Hochglanz. Der Titel bezieht sich auf eine gleichnamige Hochgeschwindigkeitskamera, die alles zwischen einem und 1000 fps registriert und von anonymen Machern oft fürgenerische und extreme Zeitlupenaufnahmen verwendet wird. Präsenz und Absenz sind denn auch Themen, die das Schaffen von Alexandra Navratil prägen. In der Reduktion und zugleich mit einer grossen Bildwucht gelingt es ihr immer wieder, Nähe und Distanz zum Gegenüber zu erzeugen und uns im Sehen und Sein zu konfrontieren.

Mehrere Stimmen überlagern sich, werden bedrohlich laut, verstummen unerwartet und ertönen erneut. Textfragmente wie „I’m addicted to you, you’re addicted to me“, spricht Anina Müller in einem 15-minütigen Loop, in dem sie Lyrics von Love Songs nutzt. In ihrer Abfolge und Wiederholung erinnern die Fragmente an einen inneren Monolog, der unzählige Versuche unternimmt, Beziehungen und das Gefühl der Liebe zu beschreiben. Und doch scheinen sich die Worte im Kreis zu drehen und in der Absurdität zu verlieren. Sprache, die als Mittel der Kommunikation Klarheit und Verständlichkeit schaffen soll, gerät an die Grenzen der Explizität – ein Verweis auf fehlende Ausdrucksfähigkeiten. Wie spricht man über Liebe, ohne die gängigen Klischees zu bedienen? Aus einem Gratis-Dispenser können sich Besucher*innen zeitungsähnliche Magazine mit der Aufschrift Ich bin ruhig herausnehmen. Von gesammelten Singleannoncen löst die Künstlerin einzelne bedeutungsträchtige Worte und Satzstücke heraus, die sie neu anordnet. „Treue“, „Vertrauen“, „Lüge“, „Betrug“ – instinktiv geschieht eine Einteilung in gewünschtes respektive nicht gewünschtes Verhalten. Erwartungen und Wünsche, wie viele Suchende sie als Imagination einer glücklichen Beziehung hüten, werden durch die repetitive Präsentation auf ihre Aktualität überprüft.

Mit der Anordnung der als «Container» fungierenden Displays Mkv III–VI erhält der Kabinettraum einen neuen Rhythmus, der als raumgreifende Assemblage verstanden werden kann. Über die Platzierung im Raum ergeben die aus gefundenen Baumaterialien gefertigten Elemente eine eigene Geografie und leiten das Publikum bewusst im Hindurchgehen. Jan van Oordt (*1980) ermöglicht dadurch die Erfahrung von situierten Bedeutungsüberlagerungen, welche die einzelnen Arbeiten zueinander in Beziehung setzen. Die Dekontextualisierung, die seinem Materialund Formenfundus widerfährt, richtet so Verknüpfungen zu unbekannten Umgebungen ein. In einer Ecksituation begegnen sich zwei rotierende Diaprojektionen aus Sammlungen jeweils formal ähnlicher Motive. Wasser im Wasser zeigt unterschiedliche Eingänge zu Tierbehausungen. Sie gemahnen an Orte und Subjektivitäten, die dem Menschlichen unzugänglich bleiben. Ihnen wohnt, gleichsam wie den von Händen berührten Gegenständen in You, eine fragile Verbindung inne, die unzählige (Deutungs-)Zugänge ermöglicht. Die Schwelle entwickelt sich als wiederkehrendes Moment und zieht einen gedanklichen Strang durch den gesamten Raum des Künstlers. Stets einen Ort im Dazwischen beschreibend, beinhaltet sie ein ständiges Öffnen und Schliessen, eine Beziehung von innen nach aussen und umgekehrt sowie häufig eine Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichem. Jan van Oordt übersetzt dieses Interesse an Übergängen wie Höhlen, Berührungen, Tierverwandlungen oder Waldrändern in eine räumliche Installation. Die Betrachter*innen lässt er zeitweise von verschiedenen Plateaus in Bedeutungszusammenhänge eintreten, wobei er nie eine definitive Abgeschlossenheit in der Deutung der Dinge erreichen möchte.

Ein gängiges Garagentor in der Schweiz misst exakt 2,5 auf 2,125 Meter. Vier identisch grosse Flächen, die den beschriebenen Massen ähneln, reihen sich auf einer Wand nebeneinander. Jedes ist in sich formal abgeschlossen und erzeugt dennoch als Ganzes eine Konformität, die an eine Wohnsiedlung erinnern lässt – ist dieser geschützte Raum für das eigene Auto doch offenbar untrennbar mit dem dazugehörigen Einfamilienhaus verbunden. Matthias Liechti (*1988) installiert die vertikal von unten nach oben verlaufenden Buchstaben E-X-I-T auf rotem Grund, flach auf die Wand. Durch ihre unzähligen Wiederholungen gehen sie in ein durchgängiges Muster auf, das alle Tore – auch horizontal – miteinander verbindet. Zugleich verliert durch feine Eingriffe in die Textrichtung und die Vervielfältigung der Versalien ein kollektives Zeichen seine Aussage. Die Deutung der einst allgemein verständlichen Sprache wird hinfällig und legt sich als Ornament über den Ort, auf welchen sie sonst lediglich aufmerksam macht. Holes, Blanks, Ways Out – die drei im Titel enthaltenen Worte verweisen alle auf eine Abwesenheit. Ein (Frei-)Raum, der ein Zurückziehen, Hineinfallen, Ausfüllen oder Hinausgehen zulässt. Vor allem aber beschreibt die Aufzählung Schwellensituationen, die uns mit einem Schritt vom privaten in den öffentlichen oder vom vertrauten in den unbekannten Raum und umgekehrt katapultieren. Diese Übertritte sind jeweils mit Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten gekoppelt. Der Künstler rückt die Normen und Konventionen in den Fokus, die unser Sehen, Verhalten und besonders unser Denken lenken.

Nina Rieben, Romance might be a competence, 2020, Diverse Materialien,
Dimension variabel; Sentimental Title, loading, 2020, Flachbettdruck auf Aluminium, je 260 x 195 cm, Your poetry’s bad and you blame the news, 2020, Kerzenreste, Diverse Materialien, 160 x 5 cm. Ausstellungsansicht / Installation view Kunsthaus Baselland 2020. Foto / Photo: Gina Folly

Weisse, leere Flächen. Leerstellen, die im abgedunkelten und zugleich hell erleuchteten Raum wie Platzhalter für Unausgesprochenes, für mögliche Worte und Texte, erscheinen. Auf grossformatigen Fotografien der Künstlerin Nina Rieben (*1992) heben sich die Rechtecke vor Sonnenuntergangssituationen ab. Eingefangen durch eine Reflexion auf einer Fensterscheibe, verkomplizieren sie das Verhältnis von innen und aussen – von Nähe und Distanz. Auf dem Boden verteilt findet sich unter dem Titel Romance might be a competence Laub, welches subtil auf die kargen Bäume ausserhalb der Fensterfront und auf die Nachricht auf einem Handydisplay verweist. Adressiert an eine unbekannte Person, erzählt my dear (Trennungskompetenz) vom mühelosen »Loslassen« der Blätter von herbstlichen Bäumen. Mit dieser jährlich wiederkehrenden Trennung geht eine Veränderung der natürlichen Lichtverhältnisse einher, die mitunter zu vermeintlich romantischen Momenten im Herbst beiträgt.Einige der Blätter versieht die Künstlerin miteiner eigens entwickelten verschlüsselten Schrift. Die Besucher*innen können den Code der losen Zeichen nicht entziffern. Doch ist es nicht beabsichtigt, dass sie die Auflösung finden, sondern vielmehr sollen sie eine Begrenztheit der Explizität von Sprache erkennen. Dazu negiert ein fragiles, kerzenartiges Objekt ein Anzünden und agiert eher als Andachtssymbol für das Pessimistische. Die zuvor erfahrenen Lichtverhältnisse werden im Nebenraum umgekehrt. Fenster, die verdunkelt waren, sind jetzt beleuchtet und bewirken durch das ansonsten ausbleibende Licht eine veränderte Wahrnehmung. In einer präzisen Gegenüberstellung lotet Nina Rieben Situationen von hell und dunkel,
Licht und Schatten aus. Diese sind gesellschaftlich und sprachlich derart konnotiert, dass häufig mit dem einen das Positive, Fröhliche einhergeht, mit dem anderen etwas Melancholisches und Trübes. Dabei lässt die Künstlerin stets Raum für eine fiktive Narration und befragt durch das bewusste Kippen der Relationen die Ästhetik von Poesie und Sentimentalität auf ihren klischeehaften Charakter.

Eine Abfolge von Werktiteln. An ein Gedicht erinnernd, vereinen diese Worte die verschiedenen Arbeiten der Künstler*innen, abseits der Setzungen in der Ausstellung. Die Worte ermöglichen unbekannte Anknüpfungspunkte. Eine Poesie im Raum, die Raum zum Denken gibt: unterschiedliche Sprachen, Stile und Sujets laden dazu ein, Vorgegebenes und Bekanntes zu überdenken und Getrenntes zu verbinden. Die eingeladenen Künstler*innen nutzen bestehende Ressourcen und Strukturen. Bewusst lösen sie jedoch einzelne Elemente heraus, um mittels ihrer jeweils eigenen künstlerischen Strategie neue Zusammenhänge zu erzeugen. Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland stellt 17 Kunstschaffende vor, die in einer präzisen Blickführung auf die unmittelbare Umgebung dringliche Fragen an die aktuellen Gewohnheiten und Zustände stellen. Die dabei entstandenen gedanklichen Zwischenräume werden wöchentlich durch externe Gäste bespielt und dabei durch deren eigene Perspektive erweitert. Eine Art Souvenir aus Texten ermöglicht es den Besucher*innen, sich an Gesehenes zu erinnern undden ein oder anderen aufgegriffenen Gedanken selbst weiterzuführen.

Aufgrund der aktuellen Lage wurde darüber hinaus innerhalb der Ausstellung im Kunsthaus Baselland ein grenzüberschreitendes Format entwickelt, um einzelnen, vorübergehend geschlossenen Partnerinstitutionen bereits jetzt schon eine Präsenz zu Beginn der Regionale 21 zu geben. Dies bezieht Positionen aus der als grenzüberschreitendes gedachtes Projekt mit Frankreich und Deutschland ein.

Jannik Giger, Sunday Lovers, 2017/ Singlescreen Full HD, 12min., stereo
This work is part of the show La fete de l’insignifiance curated by Leila Couradin for the Regionale 21 at the Kunsthalle Mulhouse with Marion Aeschlimann & Arthur Debert, Pavel Aguilar, Amelie Bargetzi, David Berweger, Eva Borner, Vincent Gallais, Jannik Giger, Danae Hoffmann, Kaltrinл Rrustemi and Flurina Sokoll, which was planed from November 27, 2020 until January 10, 2021. Due to the closure of the museums in France this work will be shown at the Kunsthaus Baselland until the reopening of the exhibition La fete de l’insignifiance in Mulhouse.

Florian Thate,  Tow Lines, 2020/ Markierungsspray, Dimension variabel
This work is part of the show #Another day in Paradise | Songs from the end of the world curated by Heidi Brunnschweiler and Jana Spät (assistant) for the Regionale 21 at the Galerie für Gegenwartskunst E-Werk Freiburg with Nadine Cueni, Daniel Dressel & Lynne Kouassi, Jasper Mehler, Paula Mierzowsky & Johann Diel, Björn Nussbächer, Julian Salinas, Lea Torcelli, Florian Thate, Jodok Wehrli, Emeka Udemba which was planed from November 27, 2020 until Janurary 3, 2021. Due to the closure of the museums in Germany this work will be shown at the Kunsthaus Baselland until the reopening of the exhibition #Another day in Paradise | Songs from the end of the world at E-Werk Freiburg.

Regionale 21
28.11.2020 — 04.01.2021
Kunsthaus Baselland
St. Jakob-Strasse 170
CH-4132 Muttenz/Basel
beim Stadion St. Jakob-Park
Tel.: +41-(0)61-312 83 88
Di – So 11–17 Uhr
Montags geschlossen

Eintritt: CHF 12, erm. CHF 9
Kinder bis 12 Jahren freier Eintrirtt
office@kunsthausbaselland.ch
www.kunsthausbaselland.ch

Text und Bilder: Kunsthaus Baselland