Ein Garten aus Malerei

13.09.2020 - 14.2.2021 | Brücke-Museum

Was wäre gewesen ohne diesen verheerenden Tropensturm? Dass Schlammspuren, Regenwasser, Zweige und sogar die Pfotenabdrücke ihrer Hunde Eingang in das Werk der argentinisch-schweizerischen Künstlerin Vivian Suter (* 1949 in Buenos Aires) fanden, nahm 2005 im katastrophalen Zufall seinen Ursprung: In jenem Jahr wurde ihr Studio auf der von ihr bewohnten ehemaligen Kaffeeplantage in Guatemala schwer überflutet, ihre Werke durchnässt und mit Schlamm überzogen. Zuerst glaubte die Künstlerin ihr Werk unwiederbringlich verloren – bis die Leinwände zu trocknen begannen, die Farben durchschimmerten und der Schlamm ihnen objekthafte Plastizität verlieh. So hieß Suter die Natur und die Kontingenz willkommen in ihrer künstlerischen Praxis – erweiterte sie damit um eine neue, starke Ebene der Formsprache.

Skulptural und körperlich sieht Vivian Suter ihre Gemälde; die vom Keilrahmen abgespannten Leinwände arrangiert sie zu Konstellationen im Raum, die im Bezug aufeinander Neues entstehen lassen, eine Eigendynamik entwickeln. „Lebende Objekte“ nennt die Künstlerin sie deshalb gerne. Und ähnlich wie die wilde Vegetation der tropischen Umgebung scheinen die farbgewaltigen Großformate nun auch im Brücke-Museum Berlin organisch in den Raum gewachsen: Ungerichtet präsentiert sind die schwingenden Stoffe frei zu durchwandern, bis in den Garten des Museums, und fügen sich zu individuellen Gesamteindrücken der Betrachtenden.

Dabei werden Suters Werke durch rund vierzig Gemälde und kunsthandwerkliche Objekte aus dem Sammlungsbestand ergänzt; Gemälderückseiten von Ernst Ludwig Kirchner, ein Wandteppich von Erich Heckel und auch ein geschnitztes Schachspiel von Karl Schmidt-Rottluff treten mit ihnen in Dialog. Eine weitere Ebene öffnet die Kunst ihrer Mutter, der im Frühjahr diesen Jahres verstorbenen Elisabeth Wild (1922–2020). In enger Zusammenarbeit mit ihr entstand die Ausstellung, und Wild steuerte nicht nur einige ihrer kleinformatigen, detailreichen Collagen bei, sie traf auch die Auswahl der Werke aus der Sammlung und stellte sie assoziativ zusammen.

Während das Schaffen von Elisabeth Wild, die Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studierte, bevor sie 1938 vor dem Nationalsozialismus nach Argentinien floh, in der Tradition des Magischen Realismus steht, changiert Vivian Suters Bildsprache zwischen abstrakten und organischen Elementen. Sie studierte in der Schweiz, von 1967 bis 1972 an der Kunstgewerbeschule Basel, und kehrte bereits 1982 zurück nach Lateinamerika.

Die sich dort herausbildendenden Naturreflexionen ihres Œuvres sind eine zentrale Parallele zu den Mitgliedern der Künstlergruppe „Brücke“, die sich um die Jahrhundertwende verstärkt von der zunehmenden Technisierung abwandten und naturnahe Lebenserfahrungen anstrebten. Der Mensch und dessen harmonische Beziehung zu seiner Umwelt wurde wichtiges Motiv ihrer Kunst – eine ebenso fundamentale Komponente im Schaffen Suters. Nicht nur malt die Künstlerin stets inmitten der exotischen Vegetation ihres Gartens, der Garten schreibt sich im Prozess physisch in ihre Werke ein und auch die Anordnung in Berlin empfindet sie als einen Wald, als „einen Garten aus Malerei“.

 

Vivian Suter. Bonzo’s Dream
13.09.2020 –  14.2.2021
Brücke-Museum
Bussardsteig 9
D-14195 Berlin
Tel.: +49-30-83900860
Mo + Mi – So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 4 €
www.bruecke-museum.de

Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Brücke-Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 76

 

Zurzeit auch im Online-Format einsehbar: https://www.youtube.com/watch?v=C4eNlqvsJJg