Drehscheibe Schweiz

10.7.2021 – 16.1.2022 | Kunst Museum Winterthur

Raue Landschaften, die mal ungemütlich, mal bedrohlich wirken, wie im Werk Hermann Scherers oder in Albert Müllers durchdringenden Porträts von teilweise bedrückender Existenz, deuten auf eine stark gefühlsbetonte Umsetzung innerer Zustände hin, die charakteristisch ist für den Expressionismus des 20. Jahrhunderts.

Die Schweizer (Berg-)Welt nicht traditionell in ihren romantischen Strukturen eingebettet zu erleben, sondern als Projektionsfläche für innere Ängste, Verzweiflung, Krankheit und Tod, aber auch für aufkeimende Hoffnung, angesichts der gesellschaftlichen Katastrophe des Ersten Weltkrieges, mag sich zunächst sperrig anfühlen.
Aber genau hier entfaltet sich die Magie dieser kraftvollen Werke, die nicht in Opposition zu heimatlichen Stereotypen verstanden werden möchten, sondern vielmehr die kulturelle Heterogenität eines komplexen Landes zeigen. Die alpine Natur und ihre Bewohner dienen Künstlern schon immer als Inspirationsquelle, aber im Expressionismus suchen die Künstler angesichts der aufwühlenden menschlichen Umstände einen radikaleren malerischen Ausdruck.

Neben der Tatsache, dass sich die Schweizer Kunst stets am Puls der Zeit bewegt, spielt vor allem die gelebte Tradition von Freiheit und Unabhängigkeit für die Entwicklung des Schweizer Expressionismus eine entscheidende Rolle. Denn die Schweizer Kunst lebt und gestaltet sich seit jeher, nicht zuletzt durch die zentrale Lage der Schweiz in Europa, durch einen wechselseitigen und höchst fruchtbaren Austausch mit den Nachbarländern.

Gerade in Zeiten von Widrigkeiten und Nöten, wie in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, erwies sich die Schweiz mit ihrem Neutralitätsbewusstsein und die damit verbundene Gastfreundschaft als Schutzraum für viele geflüchtete Künstler und Freidenker. Für den Expressionismus in der Schweiz wirkte der Einfluss der unterschiedlichsten Künstler und Künstlergruppen, wie das in Davos gegründete Kollektiv „Rot-Blau“ aus einheimischen und immigrierten Künstlern, wie eine Schubkraft in Richtung Moderne.

Die vom deutschen Künstler Ernst Ludwig Kirchner und den jungen Basler Malern Hermann Scherer, Albert Müller und Paul Camenisch gegründete Gruppe „Rot-Blau“ stand zunächst noch stark unter dem Eindruck der expressionistischen Malerei des „Brücke“-Stils, entwickelten dann aber in inspirativer Auseinandersetzung einen einzigartigen dynamischen und intensiven Stil, der bis heute die Malerei in der Schweiz prägt.

Das Kunst Museum Winterthur zeigt auf zwei Geschossen über 120 Werke von mehr als vierzig Künstlerinnen und Künstlern wie Giovanni Giacometti, Otto Morach oder Cuno Amiet. Neben Ölgemälden und Plastiken werden zahlreiche Zeichnungen und Druckgrafiken zu sehen sein. Auch Werke aus den bisher wenig beachteten Regionen wie der Romandie und dem Tessin sind Teil der Ausstellung.

 

 

Expressionismus Schweiz
10.7.2021 – 16.1.2022
Kunst Museum Winterthur
Reinhart am Stadtgarten
Stadthausstr. 6
CH-8400 Winterthur
Tel.: +41-52-2675162
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 19 CHF, erm. 16 CHF
www.kmw.ch

Text: Moana Funke
Bild: Kunst Museum Winterthur
Erstveröffentlichung in kunst:art 80