Räume sind Hüllen, sind Häute.

17.9.2021 – 13.2.2022 | Haus der Kunst

Das Haus der Kunst in München zeigt eine Retrospektive der wiederentdeckten Künstlerin Heidi Bucher (1926–1993), die zu den interessantesten Künstlern der internationalen Neo-Avantgarde zählt. Obwohl sie zu ihren Lebzeiten weder institutionellen noch kommerziellen Erfolg hatte, war die selbstbewusste Künstlerin überzeugt, dass ihr Werk eines Tages die Anerkennung erhalten würde, die es verdiente. Sie legte ein Archiv an und dokumentierte ihre Arbeiten. In einer Welt, in der Frauen weitestgehend als Künstlerinnen nicht wahrgenommen wurden, erschuf Bucher ein beeindruckendes Œuvre von Latex-Werken, die Zwänge und Befreiungsprozesse menschlicher Existenzformen ergründen.

Geboren als Adelheid Hildegard Müller im Schweizer Winterthur begeisterte sich Heidi Bucher in ihren Anfängen für textile Kunst und Design. Sie studierte bei Johannes Itten und Max Bill, die zweifellos den Erlebnisraum der aus einem gutbürgerlichen Haus stammenden Heidi erweiterten. Später pflegte sie Freundschaften mit Maria Lassnig, Anna Oppermann, Meret Oppenheim und anderen bekannten Künstlern und Künstlerinnen wie Ed und Nancy Kienholz oder Eva Hesse.

Anfang der 70er Jahre zog sie für ein paar Jahre nach Los Angeles, wo sie mit ihrem Ehemann Carl Bucher an „Landings to Wear“ und „Bodyshells“ arbeitete. Hier zerfließt die Trennlinie zwischen Skulptur und Kleidung. Ein 8mm-Film, gedreht am Venice Beach, ist als einziges Zeugnis erhalten. – Ihre Entscheidung für Latex als Material könnte von Eva Hesse und Lydia Bengalis inspiriert sein, die in den 70er-Jahren mit Latex arbeiteten.
Ihre frühen Werke konzentrieren sich auf den Körper, spätere Arbeiten beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Körper und Raum – erst im privaten, später im öffentlichen Raum. Bucher nutzt unterschiedliche Textilien und flüssigen Latex, mit denen sie verschiedene Räume abgießt und dann häutet. Wobei der Raum vielschichtige Bedeutungsebenen hat.

Elisabeth Kübler, Leiterin der Galerie Maeght (später Lelong), sagt über Buchers Werk: „Räume wirken leer, sind es aber nicht. Geschichte hinterlässt ihre Spuren überall […] Häuser haben ein Leben, Räume haben ein Leben, und Heidi war sehr erfüllt von dieser Idee.“ Erinnerungen und Geschichte sind in ihren Arbeiten verwoben. Sie erforscht Körper und architektonischen Raum durch „skulpturale Eingriffe“ – spürt dem individuellen und kollektiven Erlebnis nach und macht es auf eine ungewöhnliche Weise sichtbar und erfahrbar. Kuratorin Jana Baumann: „Vorstellungen von naturgegebenen Verhältnissen dienten das gesamte 20. Jahrhundert hindurch als Legitimation für soziale Wirklichkeiten und tun dies immer noch, wogegen Bucher sich positionierte, indem sie den Körper als Projektionsfläche gesellschaftlicher Interessen entlarvte, als Träger von Fremdbestimmungen. […] Sie begriff die Haut als Schnittstelle zur Welt, als sensorischen Speicher von Erinnerung – ob diese nun mit Lust oder Schmerz, Wohl- oder Missbehagen verbunden war –, sie nutzte das Material Latex zur Abkehr vom objektivierten hin zum metaphorischen Bild.“ Dies transportierte sie später in den Raum. Buchers Arbeiten sind poetisch, transformativ und visionär, sowohl in der Materialwahl, im Konzept als auch in ihrer Erzählstruktur.

Liane Wendt lebt und arbeitet als Arts Projects Manager in einer Aboriginal Community in Australien. Transformative Prozesse spielen auch bei der Kunst der indigenen Bevölkerung Australiens eine große Rolle.

 

 

 

Heidi Bucher. Metamorphosen
17.9.2021 – 13.2.2022
Haus der Kunst
Prinzregentenstr. 1
D-80538 München
Tel.: +49-89-21127113
Mo + Mi – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 22 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 8 €
www.hausderkunst.de

Text: Liane Wendt
Bild: Haus der Kunst
Erstveröffentlichung in kunst:art 81