Jubiläumsausstellungen in der Kunsthalle „Talstrasse“ in Halle/S.

Marcella Rataiczyk, Bleiverglasungen von 1989 in der Kabinettausstellung 70 Jahre Kunst im Atelierhaus Talstraße 23.

Bis zum 27. Februar 2022 haben Kunstinteressierte noch Zeit, sich die beiden sehr schönen Ausstellungen „Grenzerfahrungen. Hommage zum 100.“ und „70 Jahre Kunst im Atelierhaus Talstraße 23“ in der Kunsthalle „Talstrasse“ anzusehen. Noch ein Jubiläum kommt dazu, denn der Kunstverein „Talstrasse“ feierte 2021 seinen 30. Geburtstag. Mehr darüber erzählt ein kurzweiliger informativer Film, der in der Ausstellung zu sehen ist.

Zum ersten Mal überhaupt zu sehen Werner Rataiczyks. Die Megalonier Hansjörg Manthey, Stephan Stolze, Dieter-Kaufmann 1949 Öl auf Leinwand.

Sechs Künstler wären 2021/22 100 Jahre alt geworden, die in Halle an der Saale arbeiteten oder eine neue Heimat fanden: Hermann Bachmann (1922 – 1995), Mareile Kitzel (1922 – 2002), Gerhard Lichtenfeld (1921 – 1978), Werner Rataiczyk (1921 – 2021), Willi Sitte (1921 – 2013) und Hannes H. Wagner (1922 – 2010). Thematisch gliedert sich die Schau in Harlekin, Porträt, Landschaft, Stillleben und Abstraktion.

Alle sechs Künstler wirkten in den Nachkriegsjahren in Halle. Eine Zeit, in der diese Generation, die den 2. Weltkrieg miterlebt hatte, das Erlebte künstlerisch verarbeitete und selbst neue Wege in der Kunst zu erkunden begann. Inspirieren ließen sich die Künstler von der Klassischen Moderne. Doch diese Jahre der freien Entfaltung und des Ausprobierens währte nicht lange. In den 1950er Jahren kamen, geschürt von der SED-Kulturpolitik, die zermürbenden Diskussionen um Realismus und Formalismus in Gang.

Elli Pütter, Blühende Gräser, ohne Jahr, auf Papier in der Kabinettausstellung 70 Jahre Kunst im Atlierhaus Talstraße 23.

Der Maler Hermann Bachmann und die Bildhauerin Mareile Kitzel verließen Halle in Richtung Westdeutschland, während Werner Rataiczyk, Hannes Wagner und Gerhard Lichtenfeld sich einen künstlerischen Freiraum in der Saalestadt schufen. Willi Sitte verteidigte seine Arbeiten gegenüber den Parteigenossen vehement. Einen Kampf, den er am Ende seelisch verlor und sich selbst langsam in den Machtapparat der DDR einfügte.

Was eine Nähe der Empathie zwischen den Künstlern schuf, war ein Neuanfang und die Lust des Ausprobierens neuer Ideen. Der Austausch zwischen den Künstlern war ausgesprochen fruchtbar und kreativ.

Blick in die Ausstellung Grenzerfahrungen.

Die Ausstellung zeigt ausgewählte Werke aus den Nachkriegsjahren bis in die 1960er Jahre hinein. Dabei ist vor allem der Maler Werner Rataiczyk eine Entdeckung, der sich zu Lebzeiten immer mit seinen Arbeiten höflich zurücknahm. Er unterstütze vor allem seine Frau Rosemarie in deren Textilarbeiten und förderte das Talent der beiden Kinder Marcella und Matthias. Deshalb ist der Besuch der kleinen aber feinen Kabinettausstellung „70 Jahre Kunst im Atelierhaus Talstraße 23“ auch ein absolutes Muss, will man mehr über das Haus erfahren.

Die Industriellenvilla ist im klassizistichen – an Italien erinnernden – Stil, erbaut worden. Die Eigentümer waren nach dem Krieg in Richtung Westen geflohen und das Haus, zu dem ein verwilderter Felsengarten gehörte, war in einem desolaten Zustand. Trotzdem fand Familie Rataiczyk hier ein neues Zuhause und bis zu acht Künstler arbeiteten in verschiedenen Ateliers. In dieser Enklave schuf man sich ein Stück Freiheit, in dem neben dem künstlerischen Schaffen Feste gefeiert und Gäste empfangen wurden.

Keramik von Heidi Manthey um 1950 in der Kabinettausstellung 70-Jahre Kunst im Atlierhaus Talstraße 23.

Was in der Kabinettausstellung auffällt ist die Vielfältigkeit der gezeigten Arbeiten, die von Keramik, Bleiverglasung, Plastik bis hin zu den wunderschönen Blumenbildern von Elli Pütter reichen. Saniert werden konnte die Villa Stück für Stück erst nach der Wende.

Text: Nadja Naumann
Fotos: Artsplash