Ganz wenig und doch viel

29.1. – 15.5.2022 | Kunsthalle Bielefeld

Nein, so besonders einschmeichelnd und zart ist die Architektur der Bielefelder Kunsthalle nun wirklich nicht. Ganz im Gegenteil, geradezu programmatisch klotzte der Mies-van-der-Rohe-Schüler Philip Johnson 1968 seinen wuchtigen, fast monolithisch wirkenden Bau an den Rand der Altstadt. Die reduktionistische Strenge jedoch korrespondierte überraschend – und überzeugend – mit einer damals in den USA Furore machenden Kunstrichtung: Der Minimalismus setzte auf eine strikt abbildungslose, jede Referenz zur Realität verweigernde Gestaltung, deren Material zugleich schon Aussage war. Das Bild ist, was es ist, so war das Motto. Eine Form, ein Farbwert verweisen auf nichts außerhalb ihrer selbst. Diese so gut zum Haus passende Richtung wurde in der Folge zu einem der zentralen Sammlungsschwerpunkte, der sich jetzt, als Zwischensumme sozusagen, dem Betrachter stellt.

Unter dem Rubrum „Blick in die Sammlung #3“ breitet „Minimalismus und mehr“ die amerikanischen Ursprünge des Minimal aus. Eine abstrakte Formensprache, die die Bildgestalt (oder die Skulptur) auf das wesentliche Minimum zu kondensieren suchte, sich an mathematischen Gesetzmäßigkeiten orientierte und überhaupt Konzept, Idee und Prozess betonte: Protagonisten damals (und heute in der Bielefelder Sammlung) sind Namen wie Ellsworth Kelly oder Donald Judd, Louise Nevelson und natürlich Richard Serra, dessen gewölbte Stahlplatten sich schon draußen vor dem Gebäude finden. Ein Geistesverwandter in gewisser Hinsicht ist der Deutsche Ulrich Rückriem, auch er stellt die Eigenaussage seines Materials, des Steins, in den Vordergrund. Von der in den 60ern und 70ern überhaupt gern geübten Verwendung industriellen Materials war es ein logischer Schritt zum Auflagenobjekt: In industriellem Reih und Raster demonstrieren minimalistische Multiples, dass es mit der Individualität in modernen Zeiten so weit nicht mehr her war …

Das belegt auch ein in der lokalen Kunstgeschichte bedeutender Name, der des Fotografen Gottfried Jäger: Seine – selbstverständlich in strengem Schwarzweiß gehaltenen – Arbeiten nehmen zwar vom Realobjekt vor der Linse ihren Ausgang, streben aber doch so weit wie möglich zur Abstraktion: Bei den „Lochblendenstrukturen“ von 1967 fallen beide Aspekte eigentlich in eins, der untertitelnde Herkunftshinweis „Serie 3.8.14 B“ hat gar den spröden Charme einer Fahrgestellnummer. Jäger war denn auch zu dieser Zeit Mitgründer und Namensgeber der „Generativen Fotografie“, einer Gruppe in Bielefeld, die sich, vom Philosophen Max Bense inspiriert, einer apparativen Kunst verschrieb. Zunächst noch auf einer mechanisierten Fotografie basierend, war hier schon der Weg zur rechnergestützten Kunstproduktion geöffnet. Hier und da verweist die aktuelle Sammlungspräsentation übrigens auch auf die gleichzeitige Schau von Dóra Maurer (* 1937), die unter den besonderen Bedingungen Ungarns seit den 1960ern die Ideen der Avantgarde interpretierte.

 

 

 

Minimalismus und mehr. Blick in die Sammlung #3
29.1. – 15.5.2022
Kunsthalle Bielefeld
Artur-Ladebeck-Str. 5
D-33602 Bielefeld
Tel.: +49-521-32999500
Di – Fr 11 – 18 Uhr, Mi 11 – 21 Uhr, Sa 10 – 18 Uhr, So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 4 €
www.kunsthalle-bielefeld.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Kunsthalle Bielefeld
Erstveröffentlichung in kunst:art 84

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Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!