Das Holz und der Expressionismus, das war stets eine innige Verbindung: Das Naturmaterial mit seinen Wachstumsringen, seinen Kerben und Schrunden machte es den Künstlern lieb und wert, deren Selbstverständnis aus war auf einen dezidiert anti-zivilisatorischen, ursprünglichen Ausdruck. Das lässt sich bestens nachempfinden im Bündner Kunstmuseum, das derzeit eine große Ausstellung zum Werk von Hermann Scherer zeigt. Der 1893 im Markgräfler Land geborene (und in 1927 in Basel gestorbene) Künstler war einer der markantesten Vertreter des Expressionismus in der Schweiz.
Nach einer Lehre als Steinbildhauer gelangte er in den frühen 1920er-Jahren durch den Besuch einer Ausstellung von Edvard Munch, vor allem aber durch die persönliche Bekanntschaft mit Ernst Ludwig Kirchner zu einer neuen Kunstauffassung. Deren Ausdrucksstärke verdankt sich tatsächlich oft der Bearbeitung des widerspenstigen Holzes: Skulpturen entstehen, teilweise mit farbiger Fassung, vor allem aber ein umfangreiches Werk von Holzschnitten. Der Mensch erscheint hier vereinsamt in einer fremd gewordenen Natur, die keinen Trost spendet. Mappenwerke zu Dostojewskis „Raskolnikoff“ und Brechts „Baal“ speisen sich aus einer ähnlichen Stimmung – zusätzliche Quelle ist hier die Ästhetik des zeitgleichen expressionistischen Stummfilms. Eindrucksvoll, wie die Ausstellung den Drucken die originalen Holzstöcke gegenüberstellen kann: Die Vehemenz von Scherers Herangehen an das Material wird so fast handgreiflich fühlbar.
Hermann Scherer. Kerben und Kanten
18.6. – 25.9.2022
Bündner Kunstmuseum
Bahnhofstr. 35
CH-7000 Chur
Tel.: +41-81-2572870
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 15 CHF, erm. 12 CHF
www.kunstmuseum.gr.ch
Text: Dieter Begemann
Bild: Bündner Kunstmuseum
Erstveröffentlichung in kunst:art 86