Ein multidimensionales Bild einer nervenaufreibenden Zeit

13.11.2022 – 19.2.2023 | Museum Georg Schäfer

Alles ist schief. Eine Straßenlampe ragt schräg ins Bild. Menschen eilen über eine steile, schmale Brücke und alles scheint fast einzustürzen. Willkommen in der faszinierende Kulisse des Films „Das Cabinet des Dr. Caligari“, der nun im Museum Georg Schäfer an die Wand projiziert wird. Der Filmklassiker von 1920 gilt als Paradebeispiel für den expressionistischen Stil im Film und markiert einen Meilenstein der Filmgeschichte. Erzählt wird die Geschichte des Dr. Caligari, des Direktors einer Irrenanstalt, der durch die Hand des Schlafwandlers Cesare nachts Morde begehen lässt. Francis, ein junger Mann und Freund eines der Opfer, findet die Wahrheit heraus. Als im Jahr 1920 ganz Berlin mit expressionistischen Filmplakaten geschmückt war, auf denen die Aufforderung „Du musst Caligari werden“ zu lesen war, wurde Kunst und Leben als Realität vereint gesehen und mit dem Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ein expressionistisches Gesamtkunstwerk erschaffen.

Der Film als Medium der 1920er-Jahre hat also letztlich das eingelöst, was die expressionistischen Künstler wie Lyonel Feininger, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke oder Erich Heckel ein Jahrzehnt zuvor begonnen hatten. Deshalb war es naheliegend, beide Kunstformen in der Schweinfurter Ausstellung gegenüberzustellen und die engen Beziehungen und Verknüpfungen aufzuzeigen. Zwölf bekannte Filme wie „Der Golem, wie er in die Welt kam” von 1920, „Dr. Mabuse, der Spieler” von 1922, „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ von 1922, „Der letzte Mann“ von 1924 und „Metropolis“ von 1927 gliedern die Ausstellung. Neu sind die assoziativen Querverbindungen. Jedem Film sind Gemälde und Grafiken von Künstlern wie Otto Dix, Arthur Segal, Käthe Kollwitz , Christian Rohlfs, Werner Morgner oder Wilhelm Kohlhoff zugeordnet. Die Bilder sind entweder ähnlich gestaltet wie der jeweilige Film oder haben ähnliche Motive, wie Jahrmarktszenen, Varietétänzerinnen oder Schlafwandler. Den Ausstellungsmachern gelingt es so, ein multidimensionales Bild der Zeit zu vermitteln.

Die Ausstellung geht entlang der Filme chronologisch vor mit dem Zweck, die damalige Umbruchszeit als historische Folie aufzuzeigen. Am Beispiel von Fritz Langs Meisterwerk „Metropolis“ wird deutlich, dass auch jenseits der Gruselthemen die Motive des Expressionismus geeignet erschienen, das zwiespältige Verhältnis von Mensch und Maschine, von Individuum und Masse zum Ausdruck zu bringen. In gemaltem und bewegtem Bild zeigt die Ausstellung, wie stark der filmische Expressionismus die Krisen seiner Zeit reflektierte und wie er den rasanten gesellschaftlichen Umbrüchen Ausdruck verlieh. Mit Traum und Trauma wie auch Deformationen werden gesellschaftliche Entwicklungen beschrieben, welche die Menschen durchlebten und die in der Kunst und im Film des Expressionismus widerhallen. Formalästhetisch finden sich die großen Umwälzungen des beginnenden 20. Jahrhunderts in überzeichneten Figuren, starken Kontrasten und verzerrten Perspektiven wieder. Durch die Gegenüberstellung unterschiedlicher Gattungen wird das Bild dieser nervenaufreibenden Zeit lebendig.

Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es immer auf die Perspektive ankommt

Expressionismus in Kunst und Film
13.11.2022 – 19.2.2023
Museum Georg Schäfer
Brückenstr. 20
D-97421 Schweinfurt
Tel.: +49-9721-514820
Di 10 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 6 €
www.museumgeorgschaefer.de

Text: Stefan Simon
Bild: Museum Georg Schäfer
Erstveröffentlichung in kunst:art 88