Der kurze Weg vom Potsdamer Hauptbahnhof zum „Kunsthaus Minsk“ kann lang werden, gleichwohl der neue Ausstellungsraum von Software-Milliardär Hasso Plattner schräg gegenüber liegt; zu sehr sind die zu überwindenden Straßen noch von der fortschrittbegeisterten Autogerechtigkeit der 70er-Jahre geprägt. Ist das „Minsk“ aber erreicht, so kommen die Besucher an einem erfreulichen Beispiel der Entwicklung des vergangenen halben Jahrhunderts an. Zwar war das Restaurant, als das dieses Haus zwischen 1971 und 1977 gebaut wurde, schon ein Beispiel für moderne Architektur der DDR, die eben mehr kannte und konnte als Plattenbauten. Nachdem aber im Jahre 2000 der Betrieb dort eingestellt worden war, verfiel das Gebäude, bis vor drei Jahren seine Sanierung und der Umbau zum Museum begannen.
Diese Arbeiten sind nun abgeschlossen. Ende September wurde das von der Hasso Plattner Foundation getragene Museum eröffnet und will ein Ort für Kunst aus der DDR werden. An Legitimation fehlt es diesem Ziel nicht, zu leicht wird übersehen, dass es in diesem untergegangenen Staat neben der (Neuen) Leipziger Schule nicht nur Sozialistischen Realismus gab. Die eine von zwei Eröffnungsausstellungen ist allerdings mehr dem Ort und seiner Geschichte verbunden: Fotograf Stan Douglas ist Kanadier und hat sich erst in den 1990er-Jahren mit den „Potsdamer Schrebergärten“ beschäftigen können. In seiner Fotoserie spürt er den Spuren der DDR in der Nachwendezeit nach und hat in Potsdam mit seinem seltsam zweiseitigen Charakter aus einem Nachhall der DDR und jenem Nachhall Preußens entdeckt, dessen Spuren von Friederizianismus bis Gründerzeit heute zumeist zugezogene Vermögende nach Potsdam gekommen sind. So sind auf „Die Kleingärten der Sanssouci-Gärtner“ im Hintergrund hinter einem Bäumchen rechts das goldverzierte barocke Chinesische Haus des Parks zu sehen, links die prosaische und etwas klapprige Wellblechlaube eines Schrebergärtners. In der Ausstellung folgt auf „Von Lenné gestalteter Garten“ ein „Komposthaufen“.
Zweiseitigkeit ist auch das Prinzip eines Ausstellungsformates, in dem jeweils eine einzelne Arbeit der Sammlung des Stifters Hasso Plattner einem Werk aus einer anderen Sammlung gegenübergestellt wird. Im aktuellen „Wechselspiel No. 1“ steht Willi Sittes „Selbstbildnis mit Tube und Schutzhelm“ von 1982 Monika Geilsdorfs ebenso selbstbewusstem „Selbstbildnis“ (1979) aus dem Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst gegenüber.
Die zweite große Eröffnungsausstellung des Hauses ist mit Wolfgang Mattheuer einem weiteren Maler aus der DDR gewidmet. „Der Nachbar, der will fliegen“ heißt die titelgebende Arbeit dieser Ausstellung, die dann doch der Versuchung nicht widersteht, mit einem Hauptvertreter der gut eingeführten Leipziger Schule ins neue Museum zu locken, dessen Malerei 1977 auf der documenta 6 dem westdeutschen Publikum als Beispiel des Sozialistischen Realismus vorgestellt wurde. Doch liegt in seinen Arbeiten immer ein Zweifel am real existierenden Sozialismus. Hat sich der „Alte Genosse am Zaun“ seine Zukunft in der DDR tatsächlich schon in seiner jungen Begeisterung so vorgestellt? Im Hintergrund ist das ältere Wohnhaus von einer neuen Autobrücke eingerahmt, die Idylle gestört. Am „Freundlichen Besuch im Braunkohlerevier“ sind das einzig Bunte die grinsenden Masken, mit denen die Besucher Freundlichkeit in das Braun der zerstörten Landschaft tragen sollen. Und der Nachbar, der fliegen will, wird von den anderen Nachbarn, die sich in den Lauben ihrer Kleingärten eingerichtet haben, mit argwöhnischem Missmut betrachtet.
Der Schwerpunkt des Kunsthauses MINSK liegt wohl nicht hauptsächlich auf der kritischen Kommentierung der DDR, was die Betrachtung ihrer Kunst auch unnötig einschränken würde. Als Wallfahrtsort für Ostalgiker taugt es aber gewiss wenig.
Jan Bykowski ist Journalist für Kunst und Märkte in Berlin.
Wolfgang Mattheuer. Der Nachbar, der will fliegen
Stan Douglas. Potsdamer Schrebergärten
24.9.2022 – 15.1.2023
Das Minsk Kunsthaus in Potsdam
Max-Planck-Str. 17
D-14473 Potsdam
Tel.: +49-331-236014699
Mo + Mi – So 10 – 19 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 8 €
www.dasminsk.de
Text: Jan Bykowski
Bild: Das Minsk Kunsthaus in Potsdam
Erstveröffentlichung in kunst:art 88