In der großen Tradition der Opera Buffa

11.12.2022 – 3.9.2023 | Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Im November 1918 konnte man im Musiktheater in Sankt Petersburg eine ungewöhnliche Premiere besuchen. Es handelte sich um „Mysterium Buffa“ des sowjetischen Dichters Vladimir Maiakowski, der sich etwas Besonderes überlegt hatte: Er wollte, dass alle zukünftigen Versionen seines Textes unbedingt der Gegenwart angepasst und von diesem Standpunkt auch vorgetragen werden müssen. Die einzelnen Partien sollten das ganze Universum erfassen, das Paradies, aber auch im Land des Chaos und am Ende im Gelobten Land spielen …

Rund hundert Jahre später entwirft der deutsche Künstler Julian Rosefeldt ein ähnliches Mysterium Buffa mit dem Titel „Euphoria“. Diese feierte in der Völklinger Hütte Premiere. Es sind sieben raumgreifende Filminstallationen in der 6.000 Quadratmeter großen Gebläsehalle, die mit ihren gigantischen Maschinen und riesigen Schwungrädern eine unverwechselbare Hintergrundatmosphäre bietet.

Rosefeldt geht in „Euphoria“ der Frage nach, warum der Kapitalismus als gesellschaftliches Modell unüberholbar scheint: Texte und Textcollagen von Adorno, Virginie Despentes samt ihrer Beschreibung der französischen Gesellschaft, sowie Zitate von Albert Einstein oder Michel Houellebecq mögen als gbeflügelte Worte gelten, eine echte Erklärung liefern sie jedoch nicht.

In der dritten großen Arbeit von „Penumbra“ (2019–2022) geht es um die unsicheren Zukunftswege: Einerseits erscheint uns die Erde durch die extreme Entschleunigung extrem kahl und nicht bewohnbar, andererseits überfliegt man üppig grüne Baumkronen einer Waldoase, bevor man in einem rauschhaften Rave landet. Sind die Baumkronen ein Fake und das große Fest eine Vorahnung der bevorstehenden Apokalypse?

Etwas älter ist „In The Land of Drought“, doch mit „Penumbra“ verwandt. Auch hier eine karge, nicht mehr für die Landwirtschaft brauchbare Erde, vertrocknete Gegenden, die Überbleibsel antiker und nicht so alter Bauten. Für „In The Land of Drought“ hat man Filmkulissen irgendwo in Nordafrika benutzt, ihre Reste – von Drohnen überflogen – ergeben ein ziemlich genaues Abbild einer Zivilisation, die dabei ist, von der Erdoberfläche zu verschwinden.

Die Arbeiten „The Swap“ (2015), „Deep Gold“ (2013–2014) und „Unknown Soldier“ (2007) zeigen die verschiedenen Facetten des reichen Repertoires von Julian Rosefeldt, die nicht nur verschiedene Genres erkunden, sondern auch erforschen, welche Stereotypen oft im Hintergrund agieren. „Swap“, gedreht im Berliner Westhafen, ist ein Gangsterfilm von überbordendem Aktionismus. Doch weil sich die Sequenzen wiederholen, ist am Ende die Absurdität offensichtlich. In „Unknown Soldier“ thematisiert Rosefeldt die Figur des Unbekannten Soldaten, der urplötzlich im grellen Licht in der Dunkelheit aufleuchtet, bevor er sich scheinbar im freien Fall ins Nichts stürzt – eine mehr als traurige Allegorie zum kriegerischen Geschehen unserer Tage …

Julian Rosefeldt gehört zweifelsohne zu den interessantesten Filmern der heutigen Zeit, nicht ohne Humor: In einer Sequenz schreitet ein zu einer Opernarie singender Löwe durch einen Supermarkt.

Dr. Milan Chlumsky promovierte an der Pariser Sorbonne über Ästhetik und den tschechischen Poetismus.

Julian Rosefeldt. When we are gone
11.12.2022 – 3.9.2023
Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Rathausstr. 75-79
D-66333 Völklingen
Tel.: +49-6898-9100100
Mo – Sa 10 – 19 Uhr
Eintritt: 17 €, erm. 15 €
www.voelklinger-huette.org

Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Erstveröffentlichung in kunst:art 89