Ins Uhrwerk der Inszenierung geblickt

22.1. – 7.5.2023 | Ludwiggalerie Schloss Oberhausen

Stundenlanges Warten gehörte immer dazu. Nicht selten auch das Drängeln und Schummeln, um sich Einlass zum verschlossenen Areal zu verschaffen. Aber vor allem: Hinsehen. Barbara Klemm (* 1939) ist eine der bekanntesten Pressefotografinnen der Welt. Im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schuf sie seit dem Ende der 1960er-Jahre Bilder von historischen gesellschaftspolitischen Momenten, welche ihre Lesart bis heute mitbestimmen. Diese schwarz-weißen Bilder sind mittlerweile untrennbar mit dem kollektiven Gedächtnis der deutschen Gesellschaft verbunden: Bilder der Studentenrevolte in den 1960er-Jahren, das deutsche politische Zeitgeschehen, aber auch weltpolitische Ereignisse gehören dazu. Doch auch die Straßenfotografie gehört zum Repertoire der Fotografin. Die knapp 150 ausgestellten Arbeiten aus den Jahren 1967 bis 2019, die vom 22. Januar bis zum 7. Mai 2023 in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen sein werden, zeigen die ganze Vielfalt ihres fotografischen Arbeitens.

Barbara Klemm schuf Bilder, die sich gerade den choreografierten Inszenierungen von Presseterminen entziehen. Ihr gelang es mitunter, das Wesen des Moments und der abgebildeten Persönlichkeiten für die Ewigkeit festzuhalten. Willy Brandt etwa, der bei dem wegweisenden Besuch des sowjetischen Staatschefs nachdenklich vor Leonid Breschnew und der politischen Entourage 1973 in einem Bonner Sessel versinkt. Oder auch Brandt beim SPD-Parteitag im selben Jahr, Seite an Seite mit Helmut Schmidt – körperlich in charakteristischen Posen einander abgewandt. Der innige Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecker 1979 beim 30. Jahrestag der DDR zeigt wiederum den choreografierten Starrsinn der sozialistischen Bruderschaft. Oder das Bild, welches einen befreiten Geist einfängt – und so auch das Ende der DDR: Wolf Biermann, der nach dem historischen Konzert in Köln am 13. November 1976 die Bühne verlässt – das Konzert führte zu seiner Ausbürgerung.

Meistens, so erzählt es Barbara Klemm oft in Interviews, sind es die zweitbesten Bilder, die sie festhalten kann. Denn sie ist keine Fotografin, die ganze Filme verschießt in der Hoffnung, den jeweiligen Augenblick im Nachhinein auf gut Glück herausfiltern zu können. Als intuitive Beobachterin zieht es sie dorthin, wo sich eine Situation zu verdichten scheint. Mit Glück, dem sie auch gerne „Vorschub leistet“, wie sie oft erwähnt, kann sie oft erst den Nachhall dessen festhalten, was sich als Augenblick bereits offenbart hat. Einen freieren Blick zeigen wiederum ihre Straßenfotografien, denn die situativen Gelegenheiten entziehen sich hier gänzlich einer von außen gewollten Choreografie. Doch auch hier beweist sie ein Gespür für sich zufällig zu einer bildlichen Szene verdichtende Momente: etwa die im Jahr 1979 Kinderwagen schiebenden Väter aus Frankfurt, ihrer Wahlheimat. Oder das Ausgeliefertsein eines jungen Sportlers in der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig, der noch hager an Turnringen hängend bald von schroff zusammengeworfenen Schaumstoff verschluckt wird.

Die Journalistin Karolina Wróbel ist sowohl in der Hochkultur, als auch in der Berliner Lokalszene zu Hause.

Barbara Klemm. Schwarz-Weiß ist Farbe genug
22.1. – 7.5.2023
Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
Konrad-Adenauer-Allee 46
D-46049 Oberhausen
Tel.: +49-208-4124928
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 4 €
www.ludwiggalerie.de

Text: Karolina Wróbel
Bild: Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
Erstveröffentlichung in kunst:art 89