Die Progression der Dinge

10.12.2022 – 19.3.2023 | Kunstmuseum Wolfsburg

Die von Dr. Holger Broeker und Elena Engelbrechter kuratierte Ausstellung „Blow Up! Vom Wachsen der Dinge“ präsentiert zum einen einen thematischen, vornehmlich theoretischen Schwerpunkt, der sich dem Wachstum und der Veränderung – vor allem von gesellschaftlichen wie territorialen Strukturen – widmet, und offenbart zugleich auch ein ganz konkretes Heranwachsen – nämlich das der eigenen Sammlung, die durch großzügige Schenkungen von Sammlern und Künstlern aus jüngsten Tagen nunmehr rund achtzig Werke mehr zählen darf.

„Mit der eindrucksvollen quantitativen Erweiterung der Sammlung steht auch ihr qualitatives bzw. thematisches Wachsen im Zentrum der Ausstellung. Die vielen Arbeiten, die in den letzten beiden Jahren dank großzügiger Schenkungen zu uns ans Museum gekommen sind, unterstützen uns bei der strategischen Weiterentwicklung unserer Sammlung. Wir freuen uns sehr, weitere, international bedeutende Positionen wie Phyllida Barlow oder Jordan Wolfson in der Sammlung zu wissen und sie nun der Öffentlichkeit – teils erstmalig – präsentieren zu können“, so Dr. Andreas Beitin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg.

Dabei differenziert die Ausstellung zwischen Werken, die sich entweder dem organischen oder dem kulturellen Wachstum widmen. Ganz unterschiedliche Verhandlungen zwischen Subjekt und dinglicher Welt finden sich daher etwa mit Otto Pienes Arbeit aus dem Jahr 1969 “Fleurs du Mal“ oder Phyllida Barlows “Untitled (Blob, yellow)” von 2010, die das phy-sische und körperliche Moment fokussieren. Diametral gegenüber steht dabei die 29-teilige Fotoserie von Fred Lonidier „29 Arrests: Headquarters of the 11th Naval District, May 4 von 1972”, die das gänzliche ungegenständliche Wachstum eines kollektiven Gedankens – dem Protest gegen den Vietnamkrieg – einfängt.

Dass auch Migration stets auf dem Wunsch nach Wachstum fußt, indem man schlicht formuliert seinen Lebensmittelpunkt mit mehr Gutem bereichern möchte, belegen die Arbeiten der indischen Aktivistin Tejal Shah, die auf zutiefst ergreifende Weise mitunter auch das Scheitern von Grenzüberwindung und Flucht zeigen.

Nicht zuletzt mag der Ausstellungstitel „Blow Up“ als eine Anspielung auf den gleichnamigen Film von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1966 und somit als eine Aufforderung zu einer bestimmten Lesart und Motivation zur kritischen Haltung gegenüber den gezeigten Arbeiten gesehen werden. Wie auch der Kultfilm, welcher das Bild als Abbild per se als Faszinosum feiert und zugleich dessen Manipulationsmöglichkeiten und die Kluft zwischen tatsächlicher und vermeintlicher Wirklichkeit offenbart, so verhandeln etwa auch die Arbeiten von Jürgen Klauke, der in seiner „Zweisamkeitsimaginierung“ (1996) mit dem Phantomhaften und Unterbewussten spielt, oder Mariela Scafati, welche die Ausstellungsräume mittels an Seilen schwebenden Leinwänden metamorphosiert, die zeitlichen wie räumlichen Dimensionen von Wachstum auf medial ganz unterschiedliche Weise.

Dr. Denise Susnja ist Kunsthistorikerin und als freie Autorin im Rheinland tätig.

Blow Up! Vom Wachsen der Dinge
10.12.2022 – 19.3.2023
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
D-38440 Wolfsburg
Tel.: +49-5361-26690
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 10 €
www.kunstmuseum.de

Text: Dr. Denise Susnja
Bild: Kunstmuseum Wolfsburg
Erstveröffentlichung in kunst:art 89