Der Roman „Das Mädchen mit der Leica“ von Helena Janeczek und in einer hervorragenden Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche von Verena von Koskull, ist heute aktueller denn je. Seit fast einem Jahr tobt in Europa ein Krieg, der einem bewusst macht, wie kostbar der Frieden ist. Die Schrecken des Krieges schienen für immer aus unserem Leben verbannt zu sein. Ein Trugschluss. Sie kannte die Grausamkeiten des Krieges hautnah: Gerda Taro.
Gerda Taro (1910 – 1937) wurde im Spanischen Bürgerkrieg von einem Panzer überrollt, der ihrem Leben ein jähes Ende setzte. Die schöne junge Frau war eine der ersten Kriegsfotografinnen, die an der Front agierte und die Unmenschlichkeit des Krieges mit der Kamera festhielt, einer Leica.
Geboren wurde Gerda Taro in Stuttgart als Gerta Pohorylle. Die Familie zog 1929 nach Leipzig. 1933 floh sie vor den Nationalsozialisten nach Paris, wo sie den ungarischen Fotografen Endre Ernö Friedmann kennen und lieben lernte. Beide waren jüdischer Herkunft und beruflich auf die Fotografie fixiert. Ihre Namen erfuhren durch sie eine Veränderung, um bekannter zu werden. Robert Capa war Taros geniale Eingebung.
Der Roman „Das Mädchen mit der Leica“ spielt sich auf mehreren Ebenen ab und wird aus verschiedenen Sichtweisen erzählt. So beginnt er mit einem Telefonat zwischen zwei alten Freunden, deren Freundschaft seit der Jugend die Zeit unbeschadet überstanden hat. Die Erinnerungen von Willy an Gerda werden durch das Telefonat geweckt und nach Leipzig führen, wo er die lebenslustige junge Frau kennenlernte. Im zweiten Teil lässt die Autorin Taros beste Freunde Ruth zu Wort kommen, die die gemeinsame Zeit in Paris schildert. Georg, der Freund von Willy, erzählt von der Zeit, in der Robert Capa in das Leben von Gerda trat.
Viel aus dem Leben von Gerda Taro ist nicht bekannt und so versteht es Helena Janeczek aus den wahren Fakten eine fesselnde Geschichte zu erzählen. In Vergessenheit geriet Gerda Taro in Leipzig nie, wurde doch 1970 eine Straße nach ihr benannt. Allerdings vergaß die Welt diese mutige junge Frau, bis 2007 ein Koffer mit ihren Negativen in Mexico City entdeckt wurde. Helena Janeczek versetzt sich im Roman in drei Figuren, die Taro nahe standen. Wie ein Puzzle setzt sich für den Leser ein Bild über die Fotografin und ihre Zeit zusammen.
Eines steht fest, sie war ausgesprochen clever und geschäftstüchtig in einer Zeit, in der es für Emigranten in Paris wahrlich nichts zu lachen und noch weniger zu essen gab. Sie verschaffte Capa Aufträge als Fotograf, der die Heimat Ungarn wegen seiner politischen Gesinnung verlassen musste.
Ebenfalls wie Capa links eingestellt brachte sich Taro 1933 in Leipzig selber in Gefahr, als sie beim Kleben von antifaschistischen Plakaten erwischt und verhaftet wurde. Danach brach sie nach Paris auf, denn noch einmal hätten die Beamten sie sicher nicht frei gelassen.
1936 begann der Spanische Bürgerkrieg und die beiden fuhren zusammen oder auch einzeln in das Kriegsgebiet. Am 25. Juli 1937 kam es zu dem tragischen Unfall, an deren schweren Verletzungen Gerda Taro verstarb. Zu ihrem Begräbnis in Paris kamen 100.000 Menschen, danach wurde es Jahr für Jahr stiller um ihre Persönlichkeit und Werk.
„Das Mädchen mit der Leica“ wurde in Italien mit dem Premio Strega ausgezeichnet.
„Das Mädchen mit der Leica“
Helena Janeczek
Roman
Piper
Broschur
352 Seiten
12,00 Euro
Text und Foto: Nadja Naumann