Gezähmtes Chaos

Christoph M. Gais im Museum Küppersmühle in Duisburg

Es sind große Werke, die an der Wand hängen. Zum Teil mit einer Fläche von zwei mal drei Metern und mehr. Die älteren sind erdfarben und dunkler, etwa ab Mitte der 1990er-Jahre wird es bunter und freundlicher. Gegenstandsfreie Malerei, die älteren Werke eher wild und ungestüm, die jüngeren hingegen offener, strukturhaft und ins Ornamentale gehend.

Christoph M. Gais wurde 1951 in Stuttgart geboren. 1978 schloss er sein Studium der Kunstgeschichte und der Empirischen Kulturwissenschaft in Tübingen ab, um danach ein Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei Professor K. R. H. Sonderborg zu absolvieren. Anschließend ging er 1981 nach Berlin an die Hochschule der Künste und beendete 1983 sein Studium der Malerei als Meisterschüler bei Professor R. Girke. Seit 1994 lebt und arbeitet Gais in Italien, in der Kleinstadt Orvieto in Umbrien.

Wenn man die Werke von Christoph M. Gais anschaut, dann sieht man keine Bühne, auf der ein gerahmtes Bild zu sehen ist. Die Werke gehen stets weit über den Rand hinaus, sie sind nur ein Ausschnitt von etwas Größerem, vielleicht ein Ausschnitt der Welt. Es sind Ausschnitte dessen, was wir tagtäglich sehen, oder vielmehr dessen, was der Künstler sieht.

Inspiriert von Felsstrukturen, von Böden, von Schattenspielen, von der Natur oder von Büschen, malt der Künstler seine Interpretation dessen, was ihm aufgefallen ist. Dabei geht es nicht um den Gegenstand, sondern um die Wahrnehmung von Struktur und von Stofflichkeit, von Ornament und Chaos. Die Farbe trägt er Schicht um Schicht auf, sodass sie an der Oberfläche anfängt plastisch zu wirken.

Doch es sind nicht, wie wir das bei anderen Künstlern mitunter sehen, dreidimensional werdende Bilder, die an der Oberfläche ihr eigenes Spiel treiben. Die Fläche bleibt das Wesentliche, die Struktur auf der Oberfläche ist lediglich Zeugin der Arbeit des mit sich ringenden Künstlers, die hier sichtbar wird.

Möglicherweise ist es zu viel der Interpretation, und doch ist es auffallend: In Berlin, also in der Zeit der 1980er- und frühen 1990er-Jahre, übernimmt Christoph M. Gais das Chaos, den Schmutz und die ungezügelte Wildheit der Stadt, die im wahrsten Sinne des Wortes mit sich selbst kämpfte, ihren Platz suchte und rastlos war. In Umbrien scheint dann eine Last von Gais abzufallen. Das Wilde macht der Struktur Platz, das Dunkle weicht der Farbe und den freundlichen Tönen. Wo in der Berliner Zeit selbst chaotische Strukturen durch Blöcke und Quader nochmals gestört wurden, lässt Gais sein einmal gewähltes Bild für sich selbst sprechen und reißt die Strukturen nicht nochmals auf.

Die Ausstellung „Christoph M. Gais. Bilderwelten von 1990 bis heute“ in Duisburg gibt mit gut achtzig Werken des Künstlers einen guten Überblick über sein Œuvre und seine Entwicklung in den letzten mehr als dreißig Jahren.

Christian Corvin ist Kunsthistoriker und interessiert sich insbesondere für zeitgenössische Kunst.

Christoph M. Gais. Bilderwelten von 1990 bis heute
1.9. – 26.11.2023
MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst
Duisburg Innenhafen
Philosophenweg 55
D-47051 Duisburg
Tel.: +49-203-30194810
Mi 14 – 18 Uhr, Do – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 3 €
www.museum-kueppersmuehle.de

Text: Christian Corvin
Bild: MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst
Erstveröffentlichung in kunst:art 93

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