Bernard Larsson – Leaving is Entering

19.8.16 – 8.1.17 | Staatliche Museen zu Berlin

In einer großen Retrospektive wird im Museum für Fotografie das Werk der 1960er-Jahre des Fotografen Bernard Larsson gezeigt. Die rund 230 Arbeiten umfassende Ausstellung bietet einen umfassenden Überblick auf sein engagiertes bildjournalistisches Werk dieser Dekade.

Larsson – geboren 1939 in Hamburg, aufgewachsen in Hamburg und Stockholm, in München an der Bayerischen Staatslehranstalt zum Foto-grafen ausgebildet – arbeitete von 1959-1961 als Assistent von William Klein bei der Modezeitschrift Vogue in Paris. In einem von den Niederla-gen in Indochina und Algerien gezeichneten Frankreich entstanden Foto-grafien, die einen skeptischen Blick auf die herrschende Klasse werfen, etwa den ebenso selbstbewusst wie misstrauisch aus seinem Smoking schauenden französischen Kulturminister André Malraux. Larsson sah die leeren Tische des ersten amerikanischen Schnellrestaurants in Paris, folgte Filmemachern wie Alain Resnais bei ihrer Arbeit und beobachtete Kinder in einer Vorstadt bei ihren oft rüden Spielen. Die Bilder zeigen eine zerrissene Gesellschaft, einerseits schlägt sich in ihnen der kulturelle Auf-bruch vom Nouveau Roman bis zur Nouvelle Vague nieder. Auf der ande-ren Seite begibt sich Larsson immer wieder in das Straßenleben, porträ-tiert die Frauen in den Markthallen oder die Passanten an den Cafés auf den Boulevards am Montparnasse.

Von Paris aus führten ihn Reisen in das Spanien unter der Franco-Dikta-tur und in das nur wenige Jahre zuvor von der Kolonialherrschaft befreite Marokko. Es fällt auf, mit welch großer Sensibilität Larsson Brüche und Verwerfungen einfing: das erstarrte, traditionalistisch dominierte spani-sche Alltagsleben mit archaisch wirkenden Marktszenen und arbeitslosen Jugendlichen, die Souks in den marokkanischen Altstädten und die tristen Neubaugebiete von Casablanca.

„Die ganze Stadt Berlin. Politische Fotos“ nannte Bernard Larsson sein 1964 erschienenes Buch über das alltägliche Leben in der Stadt zu bei-den Seiten der Mauer. Unter den vielen Bildbänden die es zum geteilten Berlin gibt, ragt dieser Band heraus, da es Larsson mit seinem schwedi-schen Pass gelang, die bedrohte Stimmung in beiden Teilen der unter alliierter Verwaltung stehenden Stadt einzufangen. Den Anspruch auf eine politische Wirksamkeit seiner Fotografien der 1960er-Jahre hat Larsson immer aufrechterhalten. Dies ist auch das erklärte Ziel seines mit der Aus-stellung im Museum für Fotografie präsentierten neuen Blicks auf die Bilder dieser Zeit.

Den Titel zur Ausstellung „Leaving is Entering“ entlieh Larsson sich den Warntafeln an den Sektorengrenzen, die vor dem Verlassen und Eintreten in das jeweils andere politische System eindringlich warnten. Dass dieser Seitenwechsel nach dem Bau der Mauer nur noch sehr eingeschränkt, zu-nächst gar nur für Angehörige der Besatzungsmächte möglich war, gehört zu den gewollten Paradoxien der Konfrontation der Blöcke. Larsson selbst erläutert seinen heutigen Blick auf die Fotografien der 1960er-Jahre: „Meine Arbeit aus den Jahren 1961-1968 will jenseits der ideologischen Blickschranken eigene Positionen zur Überwindung der ideologischen Sperre ermöglichen. (…) Der Unmut, den die damaligen sozialen Verhält-nisse weltweit und auch im Westsektor Berlins bei der Jugend erzeugten, erwies sich als Anstoß für die Freiheit. Die alten Lebensformen waren zu verändern, Sartre sah in ihnen den Ekel. Bei ihrer Demaskierung nimmt die Fotografie eine aufklärerische Rolle ein. Meine Fotografien und deren Zusammenstellung wollen nicht einen Begriff von Fotografie geben, son-dern von der ‚fotografierten Welt‘ (Thomas Neumann). ‚Leaving is Ente-ring‘ will durch den Perspektivwechsel nicht die herrschenden Gegen-sätze betonen, sondern zu deren Überwindung beitragen.“

Die Fotografien aus Berlin zeichnen sich durch genaue Beobachtung des Alltags zu beiden Seiten der Mauer aus. Larsson verfolgte aufmerksam den hastigen Einkauf einer alten Frau mit ihrem Enkel am Hackeschen Markt, schaute in die zu Nationalratswahlen mit Zitronen und Propagan-dasprüchen dekorierten Schaufenster der Ostberliner Lebensmittelge-schäfte, sah den Kindern zu beiden Seiten der Mauer bei ihren Cowboy-spielen zu oder las Graffiti, Werbetafeln und Warnhinweise im Osten wie im Westen. Dabei ging es ihm nicht um die Suche nach dem Allgemein-menschlichen. In der Überschau entwickelt sich ein deutlicher Eindruck für die sich immer stärker formenden und regulierenden Einflüsse, die in den beiden politischen Systemen den Alltag formten. Besonders auffällig wird dies in den beiden sich gegenseitig kommentierenden Bildserien am 1. Mai 1962 auf dem Marx-Engels-Platz im Osten und am 1. Mai 1964 vor dem Reichstag im Westen. Ebenso hatte er als Bildjournalist natürlich auch einen genauen Blick für die Mächtigen, wie auf Konrad Adenauer bei einer Gedenkfeier auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof und auf Walter Ul-bricht bei einer Feier zum Jahrestag der Oktoberrevolution in der sowjeti-schen Botschaft.

Nachdem die Protestbewegung der Studenten in den USA und der Dritten Welt 1966 Westberlin erreichte, gab es ab Juni an der Freien Universität Proteste gegen die nach Meinung der Studenten autoritäre Verfassung der Universität und das mangelnde Demokratieverständnis in der Stadt. In der Art eines fotografischen Tagebuchs hielt Larsson während eines gan-zen Jahres die Demonstrationen fest. Er begleitet die Studenten bei den ersten Sit-ins in der Freien Universität, fotografierte die Polizeieinsätze gegen die „Spaziergangsdemonstrationen“ auf dem Kurfürstendamm, ver-folgte die Proteste der Studenten vor dem Reichstag gegen die geplanten Notstandsgesetze. Larsson war einer der wenigen Fotografen, der ganz in das studentische Milieu eintauchen konnte. So war er dabei, als die „Kom-mune I“ ihre subversiven Aktionen gegen die Springer-Presse und den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey plante. Am 2. Juni 1967 dokumentiert er gleichermaßen die offiziellen Stationen des Besuchs des Schahs von Persien, wie auch die Proteste der Studenten vor der Deutschen Oper und die brutalen Attacken der Polizei. Larssons foto-grafische Aufzeichnungen enden mit der Aufnahme der gezielten Er-schießung von Benno Ohnesorg durch einen Beamten der Westberliner Polizei. Noch im gleichen Monat wurden seine Fotografien vom studen-tischen Untersuchungsausschuss des AStA in der Galerie Hammer im Europa-Center großformatig ausgestellt. Einige Wochen später erschien dazu seine Flugschrift „Demonstrationen. Ein Berliner Modell“, ein Sam-melband mit der Bildchronik Larssons und Texten von Herbert Marcuse, Jacob Taubes, Reinhard Lettau, Rudi Dutschke und anderen.

Die Ausstellung schließt mit Fotografien nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und dem Ende der Studentenrevolten aus Warschau, Prag und Budapest im Jahr 1968. Dazu kommen Porträts einiger Pop-Ikonen – Frank Zappa, Jimi Hendrix, Andy Warhol – die emblematisch für den Aufbruch dieser Zeit stehen.
Bernard Larsson hat für die Ausstellung seine Fotografien nochmals in-tensiv durchgesehen, bearbeitet und in einer neuen Choreografie zu-sammengestellt. Die Präsentation der Neuabzüge ohne Rahmen und Passepartouts soll den direkten Blick auf die Bilder ermöglichen. Die von Larsson konzipierten Bildlegenden, die in einer Broschüre den Besuchern zur Verfügung gestellt werden, fügen den Fotografien eine weitere Deu-tungsschicht hinzu.

 

Text: Staatliche Museen zu Berlin | Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Externer Link: Staatliche Museen zu Berlin

 

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