Kann Kunst Konflikte kreativ klären?

Ein Kommentar von Mathias Fritzsche

Die Kunst im deutschsprachigen Raum kann sich von der politischen Allwetterlage nicht freimachen und reagiert – leider – häufig nicht sehr souverän. 

2020 und 2021 war es vor allem die Politik, die dafür sorgte, dass die Museen planlos durch die Corona-Pandemie rauschten. Möglicherweise war diese Zeit auch kaum besser zu managen und sowieso: Hinterher ist man immer schlauer. Die Situation war nicht nur neu und überraschend, sondern es ging auch ganz konkret um Menschenleben. Dennoch ging diese Zeit nicht spurlos an den Museen vorbei.

2022 begann der Krieg in der Ukraine, Russland hat in schier unvorstellbarer Art und Weise seinen friedlichen Nachbarn überfallen und ist zugleich bis heute zu feige, diesen Angriffskrieg als solchen zu bezeichnen. Allein das Wort „Spezialoperation“ verhöhnt die Opfer auf ukrainischer und auf russischer Seite. Für die Kunstszene ist das wieder gleich auf mehreren Wegen eine Herausforderung. Recht leicht fiel vielen Museen der Schritt, dazu Stellung zu beziehen. Russland wurde als Aggressor gebrandmarkt und die Ukrainer als Opfer. Dementsprechend gab es als Reaktion viele Ausstellungen mit ukrainischer Kunst und vielerorts wurde den zahlreichen Flüchtlingen aus der Ukraine der Eintritt reduziert oder sogar komplett erlassen. Das war gut und richtig. Schwieriger war der Umgang mit Russland, wie konnte da eine Reaktion aussehen? Darf man noch Ausstellungen mit russischer Kunst machen? Reicht es, dass hier lebende russische Künstler sich nicht pro Putin äußern, oder müssen sie lautstark gegen Putin auftreten? Darf man kritische russische Künstler gemeinsam mit ukrainischen Künstlern zeigen oder auftreten lassen? Wenn die Kunst auf breiter Basis in einen aktuellen politischen Konflikt hineingezogen wird, kann sie eigentlich nur verlieren!

2023, mit dem terroristischen Hamas-Überfall auf Israel und der daraus folgenden Reaktion Israels im Gaza-Streifen, sieht man, wie sehr das zutrifft. War die Situation 2022 wenigstens noch ohne großen Verstand in Gut und Böse unterteilbar, so gibt es Ende 2023 die üblichen Beiß-Reflexe ganz rechter und leider auch linker Kreise, die per se nicht nur israelkritisch sind, sondern damit auch gerne das jüdische Leben allgemein angreifen. Dass erschreckend viele muslimische und arabische Stimmen sehr subjektiv einseitig Israel angegriffen haben und Opfer nur auf Seiten der Palästinenser sehen, ist nur eine weitere Seite derselben Medaille. Es ist erstaunlich, wie hartherzig viele Menschen sind angesichts der Ermordung von Kindern und Babys, der systematischen Vergewaltigung von Frauen und der Verschleppung von unschuldigen Menschen. Dass der Konflikt zwischen Palästinensern und Israel nicht am 7. Oktober 2023 mit dem Verbrechen der Hamas begonnen hat, ist selbstverständlich, rechtfertigt ein solches Gemetzel unter friedlichen Menschen aber absolut nicht. Und dennoch bahnt sich in Teilen der Kunst der „Whataboutism“ seinen Weg.

2024 wird daher herausfordernd sein. Die Auseinandersetzungen an zahlreichen Bruchstellen werden stärker: der Konflikt um den Gaza-Streifen, der Krieg in der Ukraine, die Wahlen in drei Bundesländern und in der EU mit dem befürchteten Erstarken der rechtsextremen Parteien und die Wahlen in den USA mit der Möglichkeit, dass uns Trump noch einmal vier Jahre beschäftigt. Das sind grundsätzlich gesellschaftliche und politische Herausforderungen. Und dennoch werden diese Themen auch die Kunst nicht unberührt lassen, wie schon ein Blick auf die Vorbereitungen auf die „Documenta 16“ zeigt, die erst 2027 stattfinden wird. Wie sehr schafft es die Kunst, diese Themen nicht zu ignorieren und dennoch von ihnen auch nicht zu sehr zerrissen zu werden? Die Kunst sollte zeigen, dass man mit Konflikten besser, intelligenter und kreativer umgehen kann. Nur wie?

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Ein Thema jagt das nächste: Der Wochengipfel hält ein oder zwei Themen fest und bringt sie in Erinnerung. Was war vergangene Woche so wichtig, dass man Schnappatmung bekam und ist diese Woche dennoch schon vergessen? Oder über welche Nachricht hat man sich so gefreut, dass man auf den Balkon ging und die Nachricht für die ganze Welt in den Abendhimmel geschrien hat?