Heimsuchung, wie altertümlich und biblisch dieses Wort doch klingt. Diese Urerzählung ist in der christlichen Geschichte auf vielfältige Weise manifest – im biblischen Text, in seiner künstlerischen Auslegung als Bildmotiv nicht erst seit dem Mittelalter. Die religiöse Kunst der vergangenen Jahrhunderte hält ein erstaunliches Vokabular an Chiffren bereit, um die Themen der Urerzählung auch für die Neuzeit fassbar zu machen. Denn so alttestamentarisch der Begriff auch klingt, in seiner Neubetrachtung im Licht aktueller weltpolitischer Ereignisse gewinnt er wieder an Aktualität. Welcher Dialog hierbei entstehen kann, das zeigt die Ausstellung „Timeless. Contemporary Ukrainian Art in Times of War“ im Bode-Museum Berlin.
Zehn ukrainische Künstler wurden ein Jahr nach dem Beginn der russischen Invasion eingeladen, mit ausgesuchten kunsthistorischen Objekten der Vormoderne in einen Dialog zu treten. Die zwischen 2014 und 2022 entstandenen zeitgenössischen Werke werden dabei in Form von Fotoreproduktionen im Dialog mit den historischen Werken gezeigt. Fast alle der gezeigten Künstler halten sich selbst noch in der Ukraine auf, eine Ausfuhr der Originalwerke fand unter den gegebenen Umständen nicht statt.
Es wäre zu kurz gegriffen, den Dialog zwischen den zeitgenössischen Werken ukrainischer Künstler und den historischen Werken aus der Skultpurensammlung des Museums für Byzantinische Kunst auf die Verwendung religiöser Ikonografie zu beschränken, wenngleich klassisch-religiöse Motive wie die Schutzmantelmadonna oder das Märtyrertum in abgewandelter, zeitgemäß interpretierter Form wiedergegeben werden. Verlust, Tod, Schmerz, aber auch Mutterschaft und Schutz ergeben die hier zugrundeliegenden menschlichen Erfahrungen, für die historisch-religiöse Chiffren aufgeschlossen und dem zeitgenössischen Betrachter nahbar werden. So interpretiert die in Kiew lebende Grafikerin Alla Sorochan die Ikone der Schutzmangelmuttergottes, die in der Ausstellung dem Werk „Maria mit dem Schutzmantel“ von 1480 anbei gestellt wird, als von der Zivilgesellschaft geknüpftes Netz der humanitären Hilfe für die eigenen Leute. Welche Entbehrungen, Selbstaufopferung und physischen Schmerzen der Einsatz für die eigenen Werte kosten kann, versinnbildlicht wiederum in „Hand. Nadel“ der Künstler Sergii Radkevych aus Lemberg mit der auf vielfache Weise symbolhaften durchstochenen Hand.
Der Kunsthistoriker und Kiewer Künstler Oleksii Revika versinnbildlicht die Tötung von Kindern visuell als eine Gegenform der Menschlichkeit – in blanker Schwärze. Die diesen Werken anbei gestellten kunsthistorischen Skulpturen, wie etwa die Holzskulptur „Martyrium des hl. Sebastian“ aus dem Jahr 1525 oder das Relief-Fragment einer Madonna mit Kind von Tino di Camaino aus dem Jahr 1335, öffnen wiederum Deutungsräume, die jenseits einer reinen Ästhetikbetrachtung liegen und ein neues Interesse an den Werken wecken.
Die Journalistin Karolina Wróbel ist sowohl in der Hochkultur, als auch in der Berliner Lokalszene zu Hause.
Timeless. Contemporary Ukrainian Art in Times of War
17.3.2023 – 17.3.2024
Bode-Museum
Am Kupfergraben
D-10117 Berlin
Tel.: +49-30-266424242
Di – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 5 €
www.smb.museum
Text: Karolina Wróbel
Bild: Bode-Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 91