Ein Vorbericht zur BRAFA 2020

Das Vermögen der Kunst

Auch Kunstmessen brauchen zunehmend eine Geschichte, ein Narrativ, das die jeweilige Ausgabe inmitten eines gefüllten Messekalenders und in der Reihe der vielen Ausgaben zuvor abgrenzt und erkennbar macht. Für die BRAFA ist das im kommenden Jahr der 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Ein Datum nicht nur für die Deutschen, sondern von weltweiter Bedeutung, wie

BRAFA-Direktor mit Berliner Mauer

Messedirektor Harold t’Kint de Roodenbeke unterstreicht. Zurecht, denn dieser Tag steht nicht nur für die Deutsche Einheit, sondern ist zum Symbol für überwindbare Grenzen geworden. Ein Motiv, dass gut zur Kunst passt – und zum Kunstmarkt. Die vergangenen drei Jahrzehnte haben nicht nur gesehen, wie die innerdeutsche Trennung überwunden wurde. Auch Europa ist offener geworden, zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als könnte sich dieser Trend weltweit durchsetzen. In der Welt der Kunst ist er schon lange Programm, unausgesprochen in aller Selbstverständlichkeit zwischen Künstlern, ihrem Publikum und nicht zuletzt auch ihren internationalen Märkten. Ebenso ausdrücklich erwähnt in Eröffnungsreden, Katalogtexten und zahllosen Beiträgen mehr. Weltläufigkeit ist ein Stück des Images, dass man zusammen mit einer Kunstsammlung erwirbt. Auf Kunstmessen trifft man eine Vielfalt von Nationen, die sich in Eintracht und Höflichkeit begegnen, wie sie außerhalb dieses Kosmos viel zu selten ist. Und nicht zuletzt auch rein wirtschaftlich hat diese internationale Entwicklung stark zur Entwicklung des Kunstmarktes beigetragen. Der Kunstmarkt scheint wie eine Insel des Vertrauens in die Einsichts- und Sozialfähigeit der Menschheit.

Das gilt auch für die BRAFA. Und das nicht nur in ihrer Eigendarstellung. Nachdem die Messe in den vergangenen Jahrzehnten vom Ausland aus oft als eine belgische Angelegenheit missverstanden wurde, kann man auch hier zunehmend verschiedene Muttersprachen hören. Und die Zahl der internationalen Händler wird auch mit der kommenden Ausgabe weiter steigen. Damit setzt man in Brüssel einen mittlerweile jahrelangen Trend fort. Dabei soll die Größe insgesamt, auch dass ein erklärtes Ziel, gleich bleiben – in einem „menschlichem Maß“, wie Managing Director Beatrix Bourdon die Anzahl der Aussteller von 133 einordnet. Davon werden 50 aus Belgien kommen, 83 dagegen aus dem Ausland anreisen. So etwa der Antikenhändler Antiquarium aus New York. Unter den Rückkehrern finden sich Schwergewichte wie De Jonckheere und Douwes Fine Art, die mit ihren Angeboten aus Alten Meistern und Moderne perfekt auf die eklektische BRAFA passen.

Reality Check

Der Mensch als Maß ist eine grundlegende Größe im Konzept dieser Messe, die trotz des auch ökonomischen Formates ihrer Teilnehmer eine Non-Profit-Veranstaltung ist und bleiben wird. Eine Eigenschaft, die angesichts der Qualität, die im Palais Tour & Taxis zu sehen und zu kaufen ist, leicht in Vergessenheit gerät. Im für die Deutsche- und Europäische Einheit runden Jubeljahr 2020 wartet eine Versteigerung von besonderen Losen auf spendenfreudige Bieter. Fünf Segmente der Berliner Mauer werden im Aufruf dieser Charity-Auktion sein. Damit kann sich ein Stück Geschichte kaufen, wer einen Sinn für diese Art von Geschichtsdarstellung hat und ein Mauersegment in eigenem Besitz nicht als erschreckend, sondern als offensichtlich gewordene Auflösung einer ehemals todbringenden Grenze ansieht.

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Die Wirklichkeit allerdings ist zuweilen erschreckend schnell. Bei einer Preview einzelner Teilnehmer der BRAFA 2020 im nahe Brüssel gelegenen Zaventem fehlten zwei fest eingeplante Objekte. Sie beiden Skulpturen hätten an dem Tag aus Groß Britannien nach Belgien kommen sollen, waren aber an der britischen Grenze aufgehalten worden. Ob es sich tatsächlich schon um einen vorausgeworfenen Schatten des drohenden Brexit oder einfach um ein Beispiel langsamer Bürokratie handelt, konnte während der Schau noch nicht geklärt werden. Die schiere Tatsache allerdings erscheint wie eine Satire mit bitterer Ironie. Ruft sie doch in Erinnerung, dass nach 30 Jahren Einheit das Konzept nationaler Grenzen wieder erschreckenden an Unterstützung gewinnt und zunehmend schon wieder wirksam wird. Das Narrativ der kommenden Ausgabe der BRAFA wird einem „Reality Check“ unterzogen. So heißt dann auch ein Möbel, das Marc Heiremans gegenwärtig in seinen neuen Räumen in Antwerpen zeigt. Denn um Kunst geht es natürlich vor allem, wenn im Januar die Messe ihre 65. Ausgabe eröffnet. Die Türen dieses Kabinetts mit dem passenden Namen sehen zunächst nach einem durchgehend verwendeten Material aus, nämlich in Querschnitten zu Furnier verarbeitetes Wurzelholz. Aber hält sich die schöne Oberfläche im Inneren durch? Nur scheinbar, denn die Innenseite der Türen sind als Teil des Konzeptes dieses hintergründigen Stückes lediglich mit einer Fotografie der äußeren Oberfläche verkleidet.

Als gelungenes Beispiel, wie das Programm der BRAFA gelebt werden kann, darf man wohl Marcel Broodthaers ansehen, einen der großen Entwickler der Kunst Belgiens, in Leben und Werk aber international. Die Guy Pieters Gallery aus Knokke bringt seine „Pots avec visages“ von 1966 mit, eine Installation aus neun Einmachgläsern, gefüllt mit Gesichtern. 240.000 Euro erwartet die Galerie für diese Arbeit eines Künstlers, der sich besonders auch mit dem Thema des Kunstmarktes auseinandergesetzt hat. Kunst kann Grenzen überwinden, aber Kunst hat auch eine wirtschaftliche Seite. Beides wird im Januar in Brüssel ein weiters Mal zueinander finden.

 

Text: Jan Bykowski
Dieser Text wurde mit Unterstützung einer Pressereise der BRAFA ermöglicht.