Kunst im Spannungsfeld zwischen Text und Bild

11.9. – 22.11.2020 | Neue Galerie Dachau

Schrift kann sehr eindeutig sein, aber sie kann auch, wenn sie nicht mehr nur der konkreten Beschreibung eines Sachverhalts, eines Gedankens oder einer Stimmung dient, selbst zur mehrdeutigen Selbstdarstellung werden. Ausdrucksstarke Kunst im Spannungsfeld zwischen Text und Bild gibt es nun in Dachau zu erleben. Vom Betrachter wird Sprache gesehen, gelesen und immer auch bildlich erfahren. Und je nach Sichtweise interpretiert. So hat die in der Ausstellung „Written Imagery“ vertretene Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in ihrer hochpoetischen Wort-Bild-Collage konstatiert, dass „vereinsamt nicht von Samt“ kommt. Sprache ist ein weites Feld, die Kunst ebenso.

Die fünf von Hans-Peter Miksch ausgewählten Künstler machen Sprache zum Bild. Alle Künstler bringen einen anderen kulturellen Hintergrund mit. So dient als Bildgrundlage entweder ihre Muttersprache, das später erworbene Deutsch oder Englisch als normierte Computersprache. Babak Saeds Medium ist die deutsche Sprache, die er erst nach seiner Übersiedlung aus dem Iran im Alter von 13 Jahren erlernte. Für seine Wandarbeiten und Installationen reiht er die nur aus Großbuchstaben bestehenden Wörter aneinander. In seinen aktuellsten Arbeiten wird die Sprache in Form von winzigen nur aus nächster Nähe lesbaren Schriftzeilen selbst zum Ornament und verleiht der Arbeit als aufgelegtes geometrisches Muster so zudem eine grafische Komponente. Grundlage der Malerei des gebürtigen Afghanen Aatifi ist die Kalligrafie, die zentrale Kunstform der islamischen Welt. Die strengen Vorgaben, die für das gleichmäßig-präzise Schriftbild gelten, ließ er in Deutschland hinter sich und interpretiert seither die Kalligrafie neu als abstrakte Malerei in leuchtenden Farben. Mit dem breiten Pinsel überträgt er einzelne Schrift-Elemente in ausholenden Schwüngen ins große Format.

Unzufrieden mit den im Handel erhältlichen Farbpostkarten, begann Herta Müller 1989 Postkarten an ihre Freunde selbst zu gestalten. Sie fing an, aus der Zeitung Wörter und Bilder auszuschneiden und auf Karteikarten zu kleben. Die Nürnbergerin Dagmar Buhr arbeitet mit vielschichtigen Textinstallationen, die ortsbezogen entwickelt werden. An ihrem Schriftzug „LACK SPUCKEN“, der in monumentaler Größe als nüchterner schwarzer Folienplot auf die Wand gesetzt ist, irritiert zunächst die ungewöhnliche Wortkombination. Enthält sich die Künstlerin in der nüchternen Typografie jeglicher persönlichen Handschrift, erweist sie sich andererseits in ihrer Wortschöpfung als Poetin. Mit der Arbeit „conscious – unconscious“ entwickelt die gebürtige Bulgarin Elizabeth Thallauer schließlich ein Spiel mit unserer kognitiven Wahrnehmung. Das Kunstwerk setzt sich aus einem analogen und einem digitalen Teil in Form eines Reliefs und eines computergenerierten Videos zusammen. Fünf Künstler zeigen unterschiedliche künstlerische Strategien des Einsatzes von Text in der Kunst: von kalligraphischer Malerei bis hin zu Konzeptkunst, von der Körperlichkeit bestimmtem Duktus oder extrem puristisch mit neutraler Stilistik, und generieren dabei für den Betrachter immer wieder neue Assoziationsräume.

 

 

Written Imagery
11.9. – 22.11.2020
Neue Galerie Dachau
Konrad-Adenauer-Str. 20
D-80798 Dachau
Tel.: +49-8131-56750
Di – So 13 – 17 Uhr
Eintritt: 2 €, erm. 1 €
www.dachauer-galerien-museen.de

Text: Stefan Simon
Bild: Neue Galerie Dachau
Erstveröffentlichung in kunst:art 75