Ein sinnliches, fröhliches Fest der Farben

13.2. – 9.10.2022 | Kunsthalle Weishaupt

„Denn gegen den Eros hilft kein Mittel, nicht was getrunken, nicht was eingenommen, nicht was in Zauberliedern ausgesprochen wird; keines als Kuss und Umarmung und Zusammenliegen mit nackten Leibern.“ Das rät der Gelehrte Philetas dem jungen Liebespaar Daphnis und Chloe in dem spätantiken Liebesroman des griechischen Schriftstellers Longos. Der große Malerpoet Marc Chagall (1887–1985) hat diese Schlüsselszene in seiner Illustration in seiner unverwechselbaren Ausdrucksweise kongenial umgesetzt: Unbekleidet und umschlungen liegen die beiden Findelkinder, die im Laufe der Erzählung ihre Liebe zueinander entdecken, auf einer Frühlingswiese.
„Die Liebeslehre des Philetas“ ist eines von 42 Blättern aus dem 1961 entstandenen Mappenwerk, das nun in seinem ganzen prachtvollen Umfang in der Ulmer „Kunsthalle Weishaupt“ zu sehen ist. Der berühmte lithographische Zyklus zählt zu den Hauptwerken von Chagalls Buchillustrationen und besticht durch seine meisterhafte Anwendung von Farben und Motiven. Die lichte, offene Zeichensprache, das zarte Schweben der Bildmotive entwickeln eine reizvolle Sprache der Fantasie. Das Grün der üppigen Vegetation wetteifert in seiner Pracht mit dem Blau des Himmels und des Meeres. In diesem fein nuancierten Farbenrausch vermischen sich antike Architektur, mythische Gestalten und Motive zu einer poetischen, feinsinnigen, phantasievollen Märchenwelt. Chagalls Bilder entsprechen dabei ganz bewusst dem naiven Ton der Dichtung.

Sie entführen den Betrachter in einer Traumreise auf das antike Lesbos und somit zu einem sinnlichen, fröhlichen Farbenfest. Mitte der 1960er-Jahre erwarb der Sammler Siegfried Weishaupt mit Chagalls Mappenwerk „Daphnis und Chloe“ sein erstes Kunstwerk. Mit den 42 hochwertigen Farblithographien legte er damit den Grundstein für seine Sammelleidenschaft, die bis heute andauert. Chagalls charakteristische Handschrift als einzigartiger Mythenerzähler von unglaublich schöpferischer Kraft entdeckt man auch in „Regards sur Paris“, einem weiteren vollständig präsentierten Mappenwerk in dieser Ausstellung. Neben Chagalls Lithographien „Quai de la Tournelle“ oder „Bateau Mouche au Bouquet“ finden sich in „Regards sur Paris“ Blätter von Georges Braque, Maurice Brianchon, Jean Carzou, Jacques Villon, Kees van Dongen und André Beaudin. Insgesamt zehn Künstler schufen für die 1962 aufgelegte Mappe jeweils drei oder vier Lithographien zu unterschiedlichen Texten französischer Autoren.

Zu sehen ist ein facettenreicher Blick auf Paris. Szenen am malerischen Seineufer wechseln sich ab mit träumerischen Ansichten des Eiffelturms und Eindrücken der Montmartre-Bohème. Eine Klasse für sich: Das Jahrhundert-Genie Pablo Picasso untersucht in seinem Werk „Der Maler und sein Modell“ in feiner Strichführung den Blick des künstlerischen Schöpfers auf sein Gegenüber. Zu den frühesten Arbeiten der Ausstellung gehören zudem drei Radierungen aus der Serie „La Suite Vollard“ von Picasso aus den 1930er-Jahren. Ob thematisches Mappenwerk oder Einzelblatt: Allen 90 Grafiken der Ausstellung gemein ist ihr verträumt-verklärter Blick auf ihr jeweiliges Sujet.

 

 

 

Malerische Poesie. Grafiken von Chagall und Zeitgenossen
13.2. – 9.10.2022
Kunsthalle Weishaupt
Hans-und-Sophie-Scholl-Platz 1
D-89073 Ulm
Tel.: +49-731-1614360
Di – Fr 11 – 17 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 4 €
www.kunsthalle-weishaupt.de

Text: Stefan Simon
Bild: Kunsthalle Weishaupt
Erstveröffentlichung in kunst:art 83